51. Economic Conference
Souveränität von unten. Die Schweiz im internationalen Umfeld
Oliver Zimmer
«Hat die Elite eine Zukunft»
Beat Kappeler
«Eine gute Mehrheitsregel ist eine geteilte Mehrheitsregel»
«Hat die Elite eine Zukunft»
«Eine gute Mehrheitsregel ist eine geteilte Mehrheitsregel»
„Das Glück ist mit den Tüchtigen“, sagt das Sprichwort. Manchmal spielen einem die Zufälle in die Hände. So fand die 51. Wirtschaftskonferenz der Progress Foundation an einem nahezu perfekten Datum statt. Zum einen war der 31. Mai 2021 der erste Tag, an dem nach langen Monaten wieder Veranstaltungen mit bis zu 100 Personen erlaubt waren. Zweitens hatte der Bundesrat nur fünf Tage zuvor den „historischen“ Entscheid gefällt, die Verhandlungen mit der EU über ein Rahmenabkommen abzubrechen. Das Thema der Konferenz „Souveränität von unten. Die Schweiz im internationalen Umfeld“ war damit hochaktuell.
Einleitung von Gerhard Schwarz
Referat von Oliver Zimmer
Professor für moderne europäische Geschichte, University of Oxford
Demokratien, insbesondere liberale Demokratien, benötigen den Beitrag verantwortungsvoller Eliten, um zu funktionieren. Diese Eliten müssen die Demokratie aus einem Gefühl der gemeinschaftlichen Loyalität und bürgerlichen Pflicht verteidigen, nicht nur aus Eigeninteresse. Die entscheidende Frage ist nicht, ob die Demokratie ohne Eliten auskommen kann, sondern welche Art von Eliten sie aufrechterhalten können. Demokratien gedeihen durch Eliten, die eine soziale Erkenntnistheorie annehmen, die anerkennt, dass niemand einen privilegierten Zugang zur Wahrheit hat. Das bedeutet, dass politische Wahrheit aus Debatten zwischen verschiedenen Perspektiven entsteht.
Diese demokratische Haltung wird jedoch durch eine epistokratische Kultur herausgefordert, die behauptet, dass Eliten aufgrund ihres überlegenen Wissens mehr Macht haben sollten. Dieser Glaube untergräbt demokratische Prinzipien, indem er die Herrschaft der Wissenden über das allgemeine Wahlrecht stellt. Historisch gesehen hat diese Denkweise die moderne Demokratie beeinflusst, wobei Figuren wie James Madison und Abbé Sieyès eingeschränkte Partizipation befürworteten.
Heute kehrt dieser epistokratische Ansatz in der Akademie und in supranationalen Institutionen zurück. Gelehrte wie Jason Brennan argumentieren, dass die Demokratie versagt, weil sie unfähigen Bürgern Macht verleiht, und schlagen eine Einschränkung des Wahlrechts vor. Supranationale Institutionen wie die EU zeigen ebenfalls epistokratische Tendenzen, indem sie Technokraten über gewählte Politiker stellen.
Epistokratie und Populismus teilen eine Abneigung gegen vermittelnde Institutionen und demokratische Verfahren, wobei beide exklusiven Zugang zur Wahrheit beanspruchen. Dieser Konflikt untergräbt den demokratischen Diskurs. Damit die Demokratie überleben kann, braucht sie eine Elite, die überschwängliche Neugier mit echter Bescheidenheit verbindet und akzeptiert, dass ihr Beitrag zur politischen Gestaltung immer begrenzt sein wird.
Referat von Beat Kappeler
Schweizer Ökonom, Publizist und Autor
In Demokratien entscheidet die Mehrheit. Dieser schöne Grundsatz ist jedoch einerseits in den westeuropäischen, parlamentarischen Demokratien, und abgeleitet davon, in der EU, nicht erfüllt. In direkter Demokratie andererseits muss dem Vorwurf «winner-takes-all», also der Diktatur der Mehrheit, begegnet werden.
In parlamentarischen Demokratien zentralisieren zwei Verfahrensweisen den Verlauf der Macht im Staat: gemäss Verfassung treten Regierungen zurück und lösen das Parlament auf, wenn sie wichtige Abstimmungen verlieren. Um dies zu verhindern, üben sie Druck auf die Stimmabgabe der Parlamentarier aus, ebenso die Oppositionspartei, um die Regierung zu stürzen. Die siegreichen oder koalierenden Parteistäbe der neuen Regierung üben zudem Druck auf das Stimmverhalten der gewählten Vertreter aus und beeinflussen somit Kandidaturen für das Parlament. Dadurch wird die Macht von oben durch Parteistäbe ausgeübt, nicht von den Wählern über die Gewählten nach oben getragen.
Ein weiteres Problem ist, dass die Parlamentarier als Berufspolitiker auf gesellschaftliche Mandate und Verdienste verzichten müssen, was ihre Abhängigkeit von ihrem politischen Mandat verstärkt.
Diese Machtkaskade von den Parteistäben auf die «demokratischen» Vorgänge werden auf der Ebene der EU-Gremien verstärkt: Der Rat der EU tagt nur alle paar Monate und die EU-Kommission hat das alleinige Vorschlagsrecht. Die Entscheide des Rats werden dann, wenn überhaupt nötig, den nationalen Parlamenten vorgelegt, wo sich Regierungs- und damit die Parteistäbe durchsetzen.
Abhilfe könnte durch den Verzicht auf Parlamentsauflösungen, mehr Einfluss der Wähler auf Kandidaturen und eine transparente Aktivität der Parlamentarier außerhalb der Politik geschaffen werden. Dies würde auch auf die EU-Ebene wirken, indem nationale Parlamentarier EU-Vorlagen bestreiten und ihre Haltung zu EU-Fragen ankündigen könnten, wodurch sich wiederum die Wähler unten dazu ausdrücken könnten.
In direkter Demokratie könnte eine föderale Gewichtung, Quoren und Hürden für Referenden das „Winner-takes-all“-Prinzip abmildern. Häufige Volksabstimmungen würden zu „Lernkurven“ für Regierungen und Parlamente führen, die dann Konzessionen einbauen und sich vorher bei referendumsfähigen Gruppen absichern würden. Dies würde zu einem volksnäheren und weniger elitistischen Politikstil führen.