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24.04.2002
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Zürich

16. Economic Conference

Sicherheit und Freiheit

Konrad Hummler

«Freiheit und Staatssicherheit nach dem 11. September 2001»

Edwin J. Feulner

«Security and Freedom: Policy Options for the New Era»

Dass das Liberale Institut und die Progress Foundation ihre 16. Economic Conference in Zürich dem Thema Freiheit und Sicherheit gewidmet haben, erstaunt nicht. Seit dem 11. September wird über die beiden Werte und ihre komplexe Beziehung wieder vermehrt diskutiert. Zum einen bedingen sich Freiheit und Sicherheit gegenseitig, da Freiheit ohne das Gefühl einer gewissen Sicherheit de facto keine Freiheit mehr ist. Zum anderen besteht eine Antinomie, die zum Tragen kommt, sobald das Sicherheitsdenken ein gewisses Mass überschreitet und in freiheitsbeschränkende Massnahmen mündet.

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Noch unter einen Hut zu bringen?
Andrea Martel, NZZ, 25.04.2002

Referat von Konrad Hummler

Schweizer Geschäftsmann, Publizist und ehemaliger Privatbankier

Im Grunde genommen ist das Thema „Freiheit und Staatssicherheit“ ziemlich unoriginell. Es beschäftigte fast jede Generation von Staatsphilosophen, von Gesellschafts- und Rechtswissenschaftern und von Vertretern der praktischen Politik. Zwischen Freiheit und Sicherheit besteht sowohl ein sich bedingendes Abhängigkeitsverhältnis wie auch ein sich widersprechendes Ausschlussverhältnis: Freiheit ohne ein genügendes Mass an äusserer und innerer Sicherheit einerseits macht das Leben für den Bürger äusserst mühselig und gefährlich und beraubt die Freiheit ihres konkreten Inhalts. Freiheit in Anarchie auferlegt dem Individuum die ganze Last der Sorge für Sicherheit und verlegt sie vom öffentlichen Bereich auf die rein vom Individuum geprägte vertragliche Ebene. Da Sicherheit aber ökonomisch gesehen weitgehend ein öffentliches Gut mit viel Externalitäten ist, ergibt sich gesamtgesellschaftlich eine suboptimale Situation mit einer vermutlich zu geringen Produktion von Sicherheit und einer zu hohen Anzahl von Trittbrettfahrern. Die Antinomie von Sicherheit und Freiheit andrerseits bezieht sich auf das Übermass an Sicherheitsdenken und an praktischen freiheitseinschränkenden oder freiheitsberaubenden Massnahmen, wie sie im Laufe der Geschichte immer wieder auftraten. Ein Indikator für das Erreichen dieses Übermasses sind ohne Zweifel staatliche Aktivitäten, die den Bürger nicht nur gegen Dritte von aussen oder die ihn auch im innern des Landes schützen wollen, sondern auch vor ihm selber. Der Schritt zur völligen Bevormundung ist dann nur noch ein kleiner. Am Ende der Skala des Widerspruchs zwischen Freiheit uns Sicherheit ist die maximale Sicherheit, die gesellschaftliche verbunkerte Gummizelle sozusagen. Sie ist illusionär und totalitär zugleich. Im Lichte moderner, extremer Bedrohungen ist sie aber dennoch ein reales Konzept. Darüber werde ich in den nächsten 25 Minuten zu Ihnen sprechen.

Die beschriebene Auseinandersetzung zwischen Freiheit und Sicherheit ist, wie gesagt, eine alte und bekannte. Und als klassisch widersprüchliche ist sie unlösbar. Dennoch stellt sich die Frage, ob der 11. September 2001 bzw. die durch die neue Art terroristischer Bedrohung aufgeworfenen Fragestellungen eine erneute Diskussion als lohnenswert erscheinen lassen oder nicht.

Meine Antwort läuft auf eine klare Bejahung hinaus. Es wäre nämlich auf der einen Seite etwas blauäugig und letztlich gefährlich, wenn nun die wesentlichen Vordenker der Freiheit und ihre Vertreter in Think Tanks, Parteien, Medien usw. einfach so rasch als möglich zur Tagesordnung übergehen wollten. Die Bedrohung, der sich die moderne Zivilisation gegenüber sieht, ist eine besondere und erheischt auch besondere Gegenmassnahmen. Eine Relativierung dieses Sachverhalts führt höchstens zur Desavouierung des gesamten Standpunkts der Freiheit, und das wäre das letzte, was wir uns wünschten. Auf der anderen Seite wäre und ist es aber auch verheerend, die Vertreter von mehr und mehr Sicherheit einfach ungehindert ihrer expansiven Tätigkeit nachgehen zu lassen. Jahrzehnte mühevoller Abringens grösserer und kleinerer Stücke wertvollen Terrains an bürgerlichen und internationalen Freiheiten drohen verloren zu gehen. Die physische Bewegungsfreiheit, der problemlose und kostengünstige Austausch von Gütern und Dienstleistungen, vor allem aber auch die durch keine Instanz kontrollierte oder konzessionierte Meinungsfreiheit sind heute objektiv gefährdet.

Was unterscheidet die neue Bedrohungssituation von früheren?

Ob wir es gerne wollen oder nicht – beziehungsweise: ob wir Verdrängungskünstler vor den Tatsachen bereits wieder die Augen verschlossen haben oder nicht: Die Welt befindet sich in einer tödlichen Auseinandersetzung, die in keiner Weise weniger ernst ist als das Niederringen Nazi-Deutschlands im Zweiten Weltkrieg oder das Überwinden des Sowjet-Imperiums im Kalten Krieg. Der September 2001 hat gezeigt, dass es relativ kleinen, aber hervorragend organisierten und bis zum Exzess entschlossenen Gruppierungen möglich ist, die Welt solchermassen zu treffen, dass sie für eine Weile nicht mehr funktioniert. Die Verwendung von lebendigen Menschen als Waffenplattformen war eine der Möglichkeiten aus dem Arsenal der Terroristen, Massenvernichtungswaffen im A-, B- oder C-Bereich sind die logische Fortsetzung.

Die zunächst raschen Fortschritte im Krieg in Afghanistan dürfen keinesfalls zum Schluss verleiten, damit sei die Angelegenheit erledigt. Selbst mit der Beseitigung Usama Bin Ladins und grosser Teile des Al Kaida-Netzwerks steht man erst am Anfang der grossen und schwierigen Arbeit. Denn erstens gibt es noch weitere, möglicherweise sogar noch gefährlichere Gruppierungen im Terrorbereich. Die Augen sind derzeit vor allem auf den Irak und auf Georgien gerichtet. Noch hat aber auch der ungleich mächtigere Iran seine Ungefährlichkeit in Bezug auf den internationalen Terror nicht bewiesen.

Zweitens ist aber die Vorstellung einer Lokalisierbarkeit des Problems – Afghanistan, Georgien, Irak, Somalia, Sudan, Kolumbien usw. – ohnehin eine problematische Art des geistigen Umgangs mit der neuen grossen Weltbedrohung. Wir sind in unserem strategischen Denken viel zu stark in früheren Konflikten behaftet. Lokalisierbarkeit war ein Thema des Zweiten Weltkriegs, vielleicht auch noch des Kalten Kriegs. Internationaler Terror ist ubiquitär. Damit ist auch gesagt, dass die militärische Zerstörung bestimmter Basen des Terrors eine vielleicht notwendige, sicher aber nicht eine hinreichende Massnahme sein kann. Vielmehr muss es darum gehen, ganz allgemein und überall zu verhindern, dass einzelne Menschen oder irgendwelche Gruppierungen sich künftig in die Lage versetzen können, die zivilisierte Welt ernsthaft zu gefährden. Dass sie es können, haben sie mit dem 11. September bewiesen.

Die Chancen, dass uns, das heisst der zivilisierten Welt, dies gelingen wird, stehen nicht sehr gut. Das Problem liegt in der Asymmetrie von Macht und Verletzlichkeit von Angreifern und Angegriffenen. Hierin liegt der Kern, um den sich die Strategiediskussionen in der nächsten Zeit drehen müssen. Die bisherigen grossen machtpolitischen oder kriegerischen Auseinandersetzungen, also zum Beispiel der Erste oder der Zweite Weltkrieg, im Grunde genommen aber auch der Kalte Krieg, liefen nach dem Prinzip mehr oder weniger symmetrischer Voraussetzungen auf beiden Seiten der Konfliktparteien ab. Beide Seiten verfügten über ein bestimmtes Bedrohungspotential und über ein bestimmtes Mass an eigener Verletzlichkeit. Der Gang der Dinge wurde im wesentlichen bestimmt durch die Fähigkeit der Konfliktparteien, ihr Bedrohungspotential zu steigern und ihre Verletzlichkeit zu minimieren. Der Zweite Weltkrieg ging zu Ende, weil Nazideutschland sein Bedrohungspotential völlig verschleudert hatte und sich gegen Luftangriffe nicht mehr wehren konnte, also völlig verletzlich wurde. Bei Japan mussten die ersten Nuklearwaffen eingesetzt werden, um die Verletzlichkeit vor Augen zu führen. Im Kalten Krieg hielt das Gleichgewicht des Schreckens das Bedrohungspotential und die Verletzlichkeit beider Konfliktparteien in einem Pattzustand; das Ende der einen Konfliktpartei erfolgte durch Selbstauflösung nicht aus kriegerischen, sondern aus gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Gründen.

Terroristen verfügen über ein sehr namhaftes Bedrohungspotential, sind aber letztlich fast unbeschränkt unverletzlich. Die Gegenseite hat zwar ein bestimmtes Bedrohungspotential, ist aber gleichzeitig auch enorm verletzlich. Das ist der Calculus des Kriegs gegen den Terror. Die Unverletzlichkeit der Terroristen liegt in ihrer Gleichgültigkeit, ja ihrer Bereitschaft, für ihre Sache zugrundezugehen, die enorme Verletzlichkeit der zivilisierten Welt liegt in ihren hochkomplexen Systemen, in ihrer Offenheit, ihrer Toleranz, aber auch ihrer geringen Bereitschaft, für ihre Sache zu leiden.

Was resultiert, ist ernüchternd und erschreckend zugleich: Macht ist nicht gleich Macht, und selbst die unbestrittene Welchtmacht der USA reduziert sich im Krieg gegen den Terrorismus auf einen lächerlich tiefen Faktor. Eine Studie hat, aufbauend auf der Gleichgewichtsformel nach Nash, diesen Faktor mit 3 berechnet. Das ist nicht gerade vertrauenserweckend!

Wenn man den Calculus des Kriegs gegen den Terror zu Ende denkt, dann kann er von der zivilisierten Welt eigentlich nur gewonnen werden, wenn man das Bedrohungspotential so schnell als möglich und darnach nachhaltig auf Null setzt. Der amerikanische Präsident Bush erkannte dies vermutlich instinktiv; seine Rhetorik wurde von der europäischen Intelligentsia als „texanisch“ und „Cowboy-mässig“ bezeichnet, traf aber den Kern der Sache. Jede Halbheit, jegliches Dulden schafft wegen der Asymmetrie der relativen Verletzlichkeit eine für die zivilisierte Welt unerträglich gefährliche Situation. Es steht ausser Frage, dass dies den am Fortgang der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung Interessierten besonders beschäftigen muss. Denn die Unsicherheiten, welche der internationale Terror nach sich zieht, treffen die Wirtschaft, den Austausch von Gütern, Dienstleistungen und Kapital, im Herzen. Auf die Dauer höhere Transaktionskosten, ja die physische Unmöglichkeit zum internationalen Tausch und Handel, würden sämtliche Börsenträume zunichte machen und eine weltweite Rezession auslösen, in deren Vergleich die gegenwärtige Abkühlung nur ein kühles Lüftchen gewesen wäre.

Die Frage ist nur, ob die zivilisierte Welt überhaupt in der Lage ist, in dieser Konsequenz den Kampf zu führen, und welches die Mittel sein könnten, die zum Erfolg führen, ohne dass man sich selber just in Frage stellt. Der Kampf gegen den Terror hat für die zivilisierte Welt ja offenkundig eine paradoxe Komponente. Die zivilisierte Welt ist zivilisiert, weil sie ihren Bürgern Eigenverantwortung und Freiheit zugesteht. Sie ist zivilisiert, weil sie nicht alles und jedes kontrollieren, sondern weil sie bewusst den Dingen freien Lauf geben will. Ihre gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Stärke liegt gerade in dieser Bereitschaft, spontanen Entwicklungen Raum zu geben und Altes, Marodes durch Besseres Neues verdrängen zu lassen. Die zivilisierte Welt ist zivilisiert, weil sie weiss, dass spontane Entwicklungen nur dann entstehen können, wenn eine genügend freizügig gestaltete Privatsphäre den Querdenker vor dem Establishment und seinen Schutzmechanismen schützt.

Und genau bei dieser Privatsphäre muss nun unglücklicherweise die Terrorbekämpfung ansetzen! Nicht in Afghanistan oder im Irak, sondern auch in Zürich, in Frankfurt, in London und in Washington. Die Notwendigkeit, das Bedrohungspotential von Terroristen möglichst auf Null zu setzen, führt in der Konsequenz zur Notwendigkeit der lückenlosen Überwachung der ganzen Welt. Das sind ungemütliche Aussichten. Die Bekämpfung des Terrors durch die freie Welt wird auf einen weltweiten Polizeistaat erster Güte hinauslaufen. Womit sich die freie Welt selber abgeschafft hätte.

Hirngespinst eines paranoid gewordenen Anhängers liberalen Gedankenguts? – In Amerika wird allen Ernstes über die Wiedereinführung der Folter diskutiert. In England wurde die Jahrhunderte alte Regel des Habeas Corpus, also des Verbots unrechtmässiger Gefangennahme, im Falle von Terrorverdacht über Bord geworfen. In Afghanistan wird in völliger Missachtung des Völkerrechts mit militärischen Mitteln und ohne schlüssige Beweise die Auslieferung oder Vernichtung des Hauptverdächtigen und seiner Gefolgsleute erzwungen. In Guantanamo warten Gefangene, die nicht Kriegsgefangene sein dürfen, auf ein Gerichtsverfahren, dessen Legitimität und Legalität man noch nicht kennt. Die westliche Welt schmiedete eine Allianz mit Regierungen fragwürdigster Qualität zusammen. Bei allem Verständnis, ja der Einsicht, für die Notwendigkeit von Abwehrreflexen muss man sehen, dass das Paradox bereits am Laufen ist: Man will den „Rule of Law“ retten und kann dies nicht tun, ohne dass man dessen Prinzipien selbst verrät.

Das Thema des Schutzes der freien Welt vor weiteren tödlichen Terroranschlägen, ohne am Ende einem unerträglichen Staatsterror anheimzufallen, müsste dringendst auf die Tagesordnung internationaler Konferenzen und Symposien gesetzt werden. Die Frage ist absolut existentiell. Und sie ist bereits konkret. Wenn nämlich unter dem Titel der Terrorbekämpfung nun eine staatliche Instanz nach der andern ihren eigenen Interessenbereich auszubreiten beginnt, dann ist die Angelegenheit bereits teilweise verdorben. Weshalb?

Als Interventionsbereich für die genannten staatlichen Instanzen sind ja alle möglichen Themen denkbar: Der Kampf gegen die Pornografie, der Kampf gegen den Drogenhandel, der Kampf gegen den Zigarettenschmuggel, der Kampf gegen das Vitamin- und gegen andere Kartelle, der Kampf gegen die Steuerhinterziehung und gegen die Kapitalflucht. Gewiss, alles wichtige Problemkomplexe, aber alles in allem eben doch nicht von der Qualität einer tödlichen Bedrohung für das System als Ganzes. Die Gefahr ist gross, dass bei einer extensiven Interpretation des Informationsbeschaffungs- und Verfolgungsauftrags zum einen viel zu viel letztlich irrelevante Information verarbeitet werden muss. Was aber viel schlimmer ist: Das System wird sich, je nebensächlicher die Delikte sind, immer mehr gegen die eigenen Bürger wenden. Heute verfolgt die Bundesrepublik Deutschland mit polizeistaatlichen Methoden Steuersünder. Sie setzt dazu Mittel des Bundesnachrichtendienstes ein. Gleichzeitig, und weil man ja nicht alles auf einmal tun kann, verpasste es derselbe Bundesnachrichtendienst, in Hamburg und in Frankfurt die wichtigsten Zellen von Al Kaida ausserhalb der USA aufzudecken.

Die staatlichen und überstaatlichen Instanzen werden im Kampf gegen den Terrorismus auf sehr eng definierte Prioritäten beschränkt werden müssen. Als Korrelat zu dieser engsten Beschränkung auf das eine und nur das eine Ziel werden sie mit dem höchsten denkbaren Anspruch auf Ausübung des Gewaltmonopols ausgestattet sein müssen, um überhaupt erfolgreich sein zu können. Ihr Auftrag wird ein Vernichtungsziel in militärischem Sinne sein. Der ganze Rest der „auch noch im öffentlichen Interesse“ liegenden Themen, auch wenn es sich um strafrechtlich relevante Fragen geht, muss dringendst ausserhalb dieses Vollmachtsregimes gehalten werden.

Die Notwendigkeit zur Setzung von Prioritäten und zur engstdefinierten Beschränkung der Bekämpfung des Terrorismus auf das eigentliche Ziel wäre selbst dann zwingend, wenn man den bürgerlichen und wirtschaftlichen Freiheiten keinen Wert beimessen würde. Ich habe auf die Besonderheit des Calculus im Kampf gegen den Terrorismus hingewiesen. Der erwähnte Faktor 3, der die alles andere als überzeugende Überlegenheit der globalen Ordnungsmacht USA ausmacht, leitet sich aus drei erfolgsbestimmenden Faktoren ab, nämlich

  1. Bedrohungspotential eigene Verletzlichkeit
  2. Fähigkeit zur Bildung von Koalitionen
  3. Wille, zu obsiegen (=Bereitschaft, Opfer auf sich nehmen).

Die nach der Formel von Nash errechnete Überlegenheit leitet sich – leider – fast ausschliesslich aus dem Faktor 2 ab, aus der überlegenen Fähigkeit des Westens und namentlich der USA also, Koalitionen zu bilden. In der Tat gelang es nach dem 11. September ja ausserordentlich rasch, den grössten Teil der Welt auf das Ziel der Terrorismusbekämpfung zu verpflichten. Das war eine ausserordentliche aussenpolitische Glanzleistung der Regierung Bush, aber es wurden dafür auch ausserordentliche Kompromisse eingegangen und ausserordentlich viel Geld eingesetzt. Heute stellt sich die Frage, ob es genügen wird, wenn Pakistan, Usbekistan, China und Somalia sowie alle anderen anständigen Regierungen der Welt ihre Ausrichtung auf den Kampf gegen den Terrorismus beteuern. Es könnten bald einmal Lippenbekenntnisse daraus werden. Das Problem liegt aber noch tiefer.

Wenn die Aussage über die Asymmetrie von Bedrohungspotential und Verletzlichkeit zutrifft, dann müsste im Kampf gegen den internationalen Terrorismus eigentlich versucht werden, dass der höchste Grad an Isolation gegenüber terroristischen Gruppierungen erreicht wird. Oder anders gesagt: Die USA müssten versuchen, nicht nur alle möglichen Länder in die Allianz einzubinden, sondern, weil das Phänomen ja vermutlich nicht lokalisierbar ist, auch alle möglichen Gesellschaftsschichten. Wenn nun aber in einem beispiellosen Kraftakt angestrebt wird, nebst dem Terrorismusproblem auch gleich noch alle anderen Probleme und Problemchen dieser Welt zu lösen, indem man totale Kontrolle über alle gesellschaftlichen Phänomene zu erringen sucht, dann wird man dem internationalen Terrorismus wesentliche Kräfte in die Hand spielen. Die strategische Vision müsste sozusagen darin bestehen, nicht nur Premier Blair auf seiner Seite zu wissen, sondern auch sicherzustellen, dass der Mafiaboss von Sizilien nicht nur nichts mit Terroristen zu tun haben will, sondern sie gegebenenfalls auch noch denunziert. Zugegebenermassen eine gewagte und etwas weitgehende Gedankenführung – aber solches muss erlaubt sein in einer Auseinandersetzung, für die es vorderhand weder Erfahrungswerte noch Doktrinen gibt.

Sehr konkret fordere ich deshalb auf darüber nachzudenken, ob man nicht die Terrorbekämpfung institutionell von der Verbrechensbekämpfung trennen sollte. Gerade weil man vermutet, dass es zwischen dem internationalen Verbrechertum und dem Terrorismus eine Vernetzung gibt, müsste die Trennung diskutiert werden. Vor allem müsste verhindert werden, dass Erkenntnisse, die aus der als absolut prioritär einzustufenden Aufdeckung des Terrorismus quasi nebenher auch noch resultieren, so mir nichts, dir nichts für die Ermittlungstätigkeit im kriminellen und im Vergehensbereich übernommen werden dürfen. Denn es geht ja darum, die Anreize für Kollusion und Hehlerei in Bezug auf Terrorismus möglichst tief zu halten. Wir kennen solche rechtsstaatlichen Barrieren zur Weiterverwendung von Ermittlungserkenntnissen unter dem Begriff des „Spezialitätsprinzips“. Das Spezialitätsprinzip ist eine funktionierende rechtsstaatliche Massnahme zur Sicherstellung des Prinzips der Angemessenheit staatlicher (Ermittlungs-) Tätigkeit auf der einen Seite und zum Schutz des Bürgers auf der andern Seite. Im internationalen Kontext der Terrorismusbekämpfung müssten diese rechtsstaatlichen „Fire Walls“ aber glaubwürdig ergänzt und sichergestellt sein durch eine vollständige institutionelle Trennung.

Im Gegenzug wäre das Vollmachtsregime der mit dem Kampf gegen den Terrorismus beschäftigten Instanzen grosszügig zu definieren und ohne viel rechtsstaatliche Instanzenhindernisse zu versehen. In einem Kampf, in welchem Prävention alles ist, kann man nicht auf Beweise warten und langwierige Rekurswege offenhalten.

Die Prioritätsbildung ist dringend

Das Wall Street Journal hat kürzlich über einen im Zuge der Terrorbekämpfung durchgeführten Sicherheitscheck beim Personal von Zulieferern der Phamaunternehmung Eli Lilly berichtet. Rund 100 Angestellt verloren ihren Job aufgrund ihrer „kriminellen Vergangenheit“. Grösstenteils Bagatelldelikte, vor Jahren begangene zudem, und teilweise den Opfern des „Screenings“ aufgrund von Namensverwechslungen angedichtete.

Wenn nun alle Amerikaner, die in ihrem Leben einmal Haschisch konsumierten und dabei erwischt wurden, wegen dieser „Vortat“ ebenfalls entlassen werden oder künftig, weil sie ein „Sicherheitsrisiko“ darstellen, keine Stelle mehr finden, dann dürfen sich zwar die Saubermänner dieser Welt glücklich wähnen, dem Kampf gegen den Terrorismus hat man aber in entscheidender Weise geschadet. Versucht man dann zudem noch, die (amerikanischen) Vorstellungen von Moral und Ethik auf die ganze Welt zu übertragen, dann verliert man genau jene Freunde, die man für seinen Kampf so dringend benötigen würde.

Die Anstrengungen der amerikanischen Regierung laufen derzeit genau in diese Richtung. Man kämpft gegen Terrorismus, gegen den Drogenhandel, gegen die Pornografie, gegen die Kapitalflucht und gegen Steuervergehen, alles auf einmal und zusammen. Und gleichzeitig stellt man den ums Leben gekommenen Terroristen Atta und ash-Sheihi Einwanderungsvisa aus. Offenkundige Überheblichkeit und illusionäres Machbarkeitsdenken paaren sich mit wenig überraschender Unfähigkeit.

Die Gefahr dieser Vorgehensweise ist eine zweifache. Erstens gefährdet man damit mittel- und langfristig den Erfolg in der Auseinandersetzung, weil man der vielleicht wesentlichsten Koalitionspartner verlustig geht. Zweitens wird man sich, ob man es will oder nicht, bald einmal auf dem dünnen Eis der Doppelmoral befinden. Es mag zwar zum calvinistisch inspirierten amerikanischen Traum der sozialen Kontrolle gehören, dass man alles Unrechte und Unanständige aus der Welt verbannen will. Die tatsächlichen Verhältnisse holen einen aber immer wieder ein. So führen die USA einen blutigen und verheerenden Drogenkrieg in Lateinamerika und anderswo auf der Welt, bezichtigen alle möglichen Finanzplätze der Welt der Hehlerei und der Geldwäscherei – sind aber gleichzeitig die grössten Drogenkonsumenten der Welt überhaupt; und es gibt glaubwürdige Quellen, die behaupten, der Arm der Drogenmafia reiche bis weit unter die Kuppel des Capitols.

Nichts wäre schlimmer, als wenn sich die USA im Zuge der Fortsetzung ihres Kampfes gegen den Terrorismus wegen ihres Hangs zu Saubermacherei und totaler sozialer Kontrolle mehr und mehr ins Unrecht der Doppelmoral begeben würden. Offenkundige Unfähigkeit, als Ordnungsmacht im Nahen Osten aufzutreten, gepaart mit einer durch Hypokrisie gefährdeten Legitimation für weitere militärische Aktionen im Kampf gegen den Terrorismus, könnten früher oder später zu jenem gefährlichen Gemisch werden, gegen das auch die mächtigste Supermacht nichts auszurichten vermag. Wer sich noch an die Anti-Vietnamkrieg-Demonstrationen erinnern kann, weiss, wovon ich rede. Stimmungswechsel sind keine linearen Prozesse. Stimmungen pflegen zu kippen. Die gegenwärtige euphemistische Rhetorik darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass weder der Krieg gegen den Terror gewonnen ist noch die Erfolgsaussichten so eindeutig sind, wie man dies gerne hätte. Nach dem 11. September wäre die Welt dringend auf einen Aufbau neuen Vertrauens angewiesen. So, wie die Sache sich heute präsentiert, sind wir davon nicht nur weit entfernt, sondern bewegen uns insgesamt vermutlich in die falsche Richtung. Wenn Friedrich August von Hayek noch leben würde, müsste er seinem Kapitel „The Mirage of Social Justice“ (in seinem dreibändigen Werk „Law, Legislation and Liberty“) noch ein weiteres beifügen: „Über die Illusion totaler Kontrolle“. Diese Illusion ist das Pflaster der Strasse, die „Road to Serfdom“ heisst.

Ich komme zum Schluss und fasse zusammen. Ich vertrete klar die Ansicht, dass die Auseinandersetzung gegen den Terrorismus notwendig ist und alle verfügbaren physischen und intellektuellen Kräfte mobilisieren sollte.

Das Terrorismusproblem kann von seinen praktischen Auswirkungen her in keiner Weise von der Frage nach der weiteren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung getrennt werden. Die Summen, welche die Versicherungsgesellschaften für die Schäden in New York hinzublättern haben, sprechen eine genügend deutliche Sprache. Der etwa dreissigprozentige Einbruch im Luftverkehr nach dem 11. September hält länger an und führt zu drastischen Strukturveränderungen in einem wichtigen volkswirtschaftlichen Sektor. Der internationale Handel hat bei weitem nicht mehr die Geschmeidigkeit erreicht, die vor dem 11. September selbstverständlich schien. Die Transaktionskosten sind dramatisch gestiegen. Der Erfolg im Kampf gegen den Terrorismus ist notwendige Voraussetzung für einen nachhaltigen Aufschwung. Demgegenüber wäre nebenwirkungsreiche Erfolglosigkeit verheerend.

Viel tiefgreifender zeigt sich aber, dass all die beschriebenen Massnahmen, mit denen nun weltweit „total control“ zu erreichen versucht wird, sehr direkten Einfluss auf die allgemeine Stimmungslage haben. „Total control“ bedeutet für das Individuum ja nichts anderes als einen fast unumstösslichen Sieg der Nomenklatur aller Regulatoren und Administratoren dieser Welt über eine freie, individuell geprägte und durch Eigeninitiative und Eigenverantwortlichkeit gekennzeichnete Wirtschaftstätigkeit. Konzessionierungsverfahren, Formulare für alle möglichen Bewilligungen, die Gefahr, auf Schritt und Tritt etwas Unrechtes zu tun, quasi laufend mit einem Bein im Gefängnis zu stehen, wegen Lappalien als „Sicherheitsrisiko“ eingestuft und wegen möglicher Verbindungen zum internationalen Terrorismus entlassen zu werden: Wird unter solchen Rahmenbedingungen eine neue Generation von unternehmerischen Wirtschaftssubjekten so bald ihre Arbeit aufnehmen können oder wollen, um durch erhöhte Produktivität und innovative Verfahren alsdann Gewinne zu erwirtschaften? Was aber, wenn nicht die Aussicht auf künftige Gewinne, würde die Weltwirtschaft denn sonst aus der gegenwärtigen Rezession herausführen?

Ein Letztes. Es geht um den Kampf gegen Fundamentalisten, die ihren Gott für ihre totalitären Ziele gepachtet haben. Der Kampf wird nicht zu gewinnen sein durch das ebenso fundamentalistische Konzept der totalen Kontrolle. Die notwendigerweise damit einhergehende Doppelmoral wird als fortgesetzter Sündenfall jegliche Legitimation aushöhlen. Die einzige Antwort der freien Welt auf den Terrorismus kann nur lauten: Gezielt und intelligent suchen, kompromisslos aufdecken und rücksichtslos zerschlagen. Und den ganzen, grossen, freien, unperfekten Rest der Welt so unbehelligt und so frei lassen, wie er ist.

(Text des Referats, gehalten an der Economic Conference vom 24. April 2002 in Zürich)

Referat von Edwin J. Feulner

Ehemaliger Think-Tank-Manager, Kongressberater, Auslandsberater und Mitbegründer der Heritage Foundation

Thank you for that very warm introduction. Ladies and gentlemen, I am pleased and honored to be here at Progress Foundation’s 16″ Economic Conference. The related issues of security and freedom are of fundamental importance to all of you and to all of us in the United States. And conferences like this provide a useful forum for the exchange of ideas to promote freedom and economic opportunity throughout a secure world. Since the breadth of tonight’s topic is virtually limitless, I am going to focus on security and freedom in relation to homeland defense, property rights, and economic freedom.

Hier finden sie den vollständigen Redetext des Referats als PDF:

Redetext