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In den Medien
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07.06.2025

Trump 2.0 ist das bewusst herbeigeführte Ende der unipolaren Weltordnung

Im Umgang mit der neuen Regierung der Vereinigten Staaten gilt es, strategisch zu denken. Dazu gehört zuerst, die Intentionen des Gegenübers zu verstehen. Und ja, Trump hat einen Plan – aber er sieht anders aus, als viele meinen.

Ivan Adamovich und Konrad Hummler
NZZ

Auf den ersten und auch den zweiten Blick erscheinen die meisten Handlungen des US-Präsidenten Donald Trump erratisch, beinahe besessen, schlecht fundiert, masslos, beleidigend, rücksichtslos, töricht und oft sogar selbstschädigend. Damit macht man es sich zu leicht.

Vieles war zwar im Wahlkampf in gewohnt markigen Worten angekündigt worden, doch erwartete man aufgrund langjähriger Erfahrung die Ausführung in deutlich moderaterer Form oder eher: gar nicht.

Nun, nach etwas mehr als hundert Tagen der neuen Präsidentschaft, zeigt sich: Donald Trump ist daran, seine eigenen Versprechungen zu übertreffen. Und er scheint sich prinzipiell nicht davor zu scheuen, seinem Land Schmerzen zuzufügen. Trump nennt das «bittere Medizin», die es vorübergehend eben brauche, wenn man zu grösseren, höheren Zielen aufbrechen wolle.

In ihren Erwartungen getäuscht haben sich beispielsweise die internationalen Finanzmärkte. Dort herrschte bis noch vor kurzer Zeit eine Art «drôle de guerre»: auffällige Gelassenheit, vielleicht gespielt-gequält, vielleicht aber durchaus zuversichtlich, weil man in Donald Trump letztlich einen Mann der Wirtschaft zu haben wähnte. Er wird sich wohl nicht selbst schaden wollen, so die (ziemlich rationale) Hoffnung.

Das Vertrauen ist weg

Die Zuspitzung der Ereignisse zu einem Handelskrieg Anfang April 2025 zerstörte dann das so wichtige Vertrauen in einigermassen stabile Verhältnisse und führte zu einem gigantischen Preisfindungsprozess. Mit dem Aussetzen der radikalsten Massnahmen beruhigte sich die Lage zumindest vorübergehend, doch der Vertrauensverlust bleibt.

Ist Donald Trump einfach ein «Dealmaker», der hochriskant spielt? Oder denkt er die Angelegenheiten nicht zu Ende und blendet Nebenwirkungen seiner Handlungen aus? Oder aber sind wir Zeugen eines systematischen Vorgehens mit wohlvorbereiteten Teilschritten, nach Drehbuch abgewickelt?

Nur wenige Kommentatoren machen sich die Mühe, wenigstens summarisch in den Quellen zu forschen, die sehr wohl zur Verfügung stehen. Im Vordergrund steht dabei der Sammelband «2025 – Mandate for Leadership. The Conservative Promise», herausgegeben von Paul Dans und Steven Groves von der Heritage Foundation in Washington. Auf 887 Seiten wird das Programm der konservativen Machtübernahme in zum Teil hohem Detaillierungsgrad dargelegt.

Beispielsweise erläutert der inzwischen zum Leiter des neugeschaffenen Nationalen Handelsrats ernannte Ökonomieprofessor Peter Navarro, weshalb aus seiner Sicht ein tiefer Eingriff in die bestehenden Handelsströme notwendig ist, um das «unfaire» Ungleichgewicht zwischen China (und anderen Handelspartnern) und den USA auf eine neue Basis zu stellen.

Es ist die angeblich selbstzerstörerische Komponente der Trumpschen Politik, die besonders interessiert. Wofür dieses Tempo und diese Insistenz? Wofür eine Politik, von der man weiss (oder wissen könnte), dass sie kurzfristig Schaden anrichtet – indem sie die Handelspartner erzürnt und allen Märkten für längere Zeit eine Unsicherheitsprämie auferlegt?

Wofür könnte man bereit sein, eine schwer kontrollierbare Inflation, höhere Zinsen und eine entsprechend teurere Finanzierung der bereits hohen Staatsschuld hinzunehmen? Wofür das alles, wenn zu erwarten ist, dass danach die Welt nie mehr so sein wird wie zuvor?

Genau dafür: Damit die Welt nie mehr ist wie zuvor. Die Vereinigten Staaten sind dabei, ihre eigene Weltordnung zu demontieren. Die USA haben den Globus spätestens ab der Wende von 1989 als Hegemon beherrscht. Das ist vorbei. Man will sich mit Absicht zurückstufen, weil die Existenz als hegemoniale Macht nicht mehr lange aufrechtzuerhalten wäre. Die Last wiegt zu schwer. Und man wird dafür nicht oder nur ungenügend entschädigt.

Es ist teuer, die Nr. 1 zu sein

Ökonomisch gesprochen: Das Dasein als Hegemon ist von zu vielen negativen Externalitäten gekennzeichnet, und umgekehrt gibt es zu viele Trittbrettfahrer, die von der Allmende, die der Hegemon hegt und pflegt, profitieren. Trump und seine Crew wollen der durch die Vereinigten Staaten errichteten Allmende ein Ende bereiten. Denn sie wird aus ihrer Sicht seit längerer Zeit von allen Seiten immer mehr übernutzt.

Das unübersehbare Malaise liegt zum einen in der stetigen relativen Erosion der industriellen Wirtschaftskraft; zum anderen in den enorm hohen Aufwendungen der USA im militärischen Bereich. Es kostet die Vereinigten Staaten jährlich Unsummen, rund um den Globus die Sicherheit aufrechtzuerhalten.

Die reinen Militärausgaben beliefen sich 2023 auf rund 880 Milliarden Dollar oder 3,36 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Der Wahrheit näher käme man wohl, wenn man auch einen Teil der Kosten für Entwicklungszusammenarbeit, nichtmilitärische Geheimdienste, Weltraumaktivitäten sowie internationale Organisationen hinzurechnen würde. Das ergäbe ein Total von weit mehr als 1000 Milliarden Dollar oder deutlich über 5 Prozent des BIP.

Hinzu kommen gesunkene Steuereinnahmen aus industrieller Tätigkeit, die im Zusammenhang damit stehenden erhöhten Sozialausgaben und steigende Zinskosten. All dies ergibt einen unerfreulichen Zustand des US-Treasury: Überschuldung mit steigender Tendenz.

Der Hegemon in Nöten

Schulden sind kostspielig. Der Fiskus muss Zinsendienst an die Gläubiger erbringen, und Schulden, die er nicht abbauen kann, neu und zu möglicherweise höheren Zinssätzen finanzieren. Während vieler beinahe inflationsfreier Jahre bereiteten Zinsendienst und Schuldenfinanzierung nur wenigen Kopfzerbrechen. Ja, lange schien es sogar, als seien zusätzliche Schulden kein Problem mehr – in diese Richtung argumentierte etwa die New Monetary Policy.

Ein Blick auf die jährlichen Zinsaufwendungen der USA widerlegt diese Sichtweise. Ihr Gesamtbetrag hat die reinen Militärausgaben hinter sich gelassen und nimmt Ausmasse an, die den fiskalischen Spielraum zunehmend einschränken.

Der Hegemon ist in Nöten. Wenn aber das Ende seiner Vorherrschaft absehbar ist: Wie können sich die USA ihres Hegemoniestatus auf möglichst schmerzlose Weise entledigen? Die Amerikaner stehen vor einem Exit-Problem der besonderen Sorte. Aus unserer Sicht gibt es zwei Möglichkeiten: den langsamen, schmerzvollen, Unsicherheiten erzeugenden Niedergang oder das rasche Ende mit Schrecken, aber mit der Chance des erfolgreichen Überlebens.

Ziel ist es dabei, der Fiktion Hegemonie die alles entscheidende Grundlage zu entziehen: das Vertrauen in ihr Fortbestehen. Wir gehen davon aus, dass genau dies die wahre Absicht vieler bisheriger Aktionen war: das Vertrauen der Widerwillig-Wohlwollenden zu zerstören, also «Freunde» vor den Kopf zu stossen, mittels Avancen gegenüber bisherigen Gegnern an den Grundüberzeugungen zu rütteln, Verbündete zu desavouieren, ja zu verraten, Halb- und Unwahrheiten zu verbreiten, geschriebene und vor allem ungeschriebene Regeln zu brechen, keinerlei Verluste zu scheuen – und so weiter.

Das Drehbuch zu Trump 2.0

Wenn man die Chronologie der Ereignisse aus den ersten hundert Tagen der Regierung Trump unter diesen Gesichtspunkten einordnet, kommt man zum Ergebnis: in allen Punkten erfüllt. Das Vertrauen ist nachhaltig beschädigt oder gar vollends zerstört. Ein Zurück zum früheren Normalzustand wird es kaum mehr geben. Der Dehegemonisierungsprozess ist im Gange, es wurde die rasche Gangart gewählt. Ohne Drehbuch wäre das niemals gegangen, und wenn nur ein «Tor» am Werk gewesen wäre, wäre solche zerstörerische Konsistenz äusserst unwahrscheinlich.

Nun stellt sich noch die Frage, ob der Prozess nach Plan ablaufen kann beziehungsweise in welchem Masse und für wen und unter welchen Bedingungen das Vorhaben der Dehegemonisierung gelingen wird. Die Transformation ist anspruchsvoll und risikoreich.

Es lassen sich drei Szenarien unterscheiden, wie die Abkehr der USA vom Hegemonismus mittelfristig ablaufen könnte. Entweder gelingt das Manöver für Trump relativ schmerzlos, und es bleibt zielführend, was in erster Linie von der Bewältigung der Schuldenfrage abhängt. Oder es kommt mittelfristig zu einer Art Restauration der Vergangenheit, wie das einst nach der Französischen Revolution geschah. Oder aber es herrscht über längere Zeit ein ausgesprochenes Chaos mit allen möglichen militärischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen.

Den drei Szenarien ordnen wir bewusst keine Wahrscheinlichkeiten zu, dies würde für den Fall einer zwar unwahrscheinlichen, aber desaströsen Entwicklung nichts nützen.

Man tut gut daran, sich auf die disruptiven Varianten vorzubereiten, inklusive Chaos. Das bedeutet zugleich, dass der Einzelne und der machtarme Kleinstaat für ihr Überleben in Freiheit und Wohlstand deutlich mehr aufwenden müssen als bisher.

Dieser Gastkommentar erschien erstmals am 7. Juni 2025 in der NZZ und wird hier mit freundlicher Genehmigung wiedergegeben.