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24.06.2024

Stolpersteine bei den Verhandlungen mit der EU abbauen

In den Verhandlungen mit der EU kann die Schweiz keine Verträge akzeptieren, die fundamentale Grundsätze der Schweizer Staatsordnung, der Rechtsetzung und Rechtsprechung sowie der demokratischen Entscheidungsfindung missachten.

Heinz Buhofer, Hans Hess und Konrad Hummler
NZZ

Die Schweiz ist für die EU – verglichen mit so manchen ihrer Mitgliedsstaaten – eine problemlose Partnerin. Beide Seiten profitieren stark von den bestehenden Abkommen, die EU sicher nicht weniger als die Schweiz, wenn man an den Handelsbilanzüberschuss denkt oder an die fast 400 000 Grenzgänger, die in der Schweiz Arbeit finden.

Foto von Tetiana Shyshkina auf Unsplash
Brüssel möchte das bilaterale Vertragswerk ändern, für ein neues Gleichgewicht braucht es aber einen fairen Interessenausgleich. (Bild: Tetiana Shyshkina/Unsplash)

 

Verbesserungen und offene Fragen

Brüssel möchte das bilaterale Vertragswerk ändern, für ein neues Gleichgewicht braucht es aber einen fairen Interessenausgleich. Im Vergleich zum gescheiterten institutionellen Abkommen bringt das nach den Sondierungen erarbeitete Common Understanding zwischen der Schweiz und der EU einige Verbesserungen – nach wie vor finden sich aber Stolpersteine.

Zu den Verbesserungen zählt, dass die Generalguillotine, die gleichsam einen institutionellen Zwang geschaffen hätte, weg ist. Das neue Konzept Bilaterale III ohne Generalguillotine ist zu begrüssen. Zu begrüssen ist überdies, dass neue und wichtige Abkommen zur Versorgung mit Strom und Lebensmitteln sowie ein Gesundheitsabkommen hinzukommen sollen, was im Interesse der Schweiz wäre.

Zu den für die Schweiz zentralen Punkten eines neuen Pakets Bilaterale III sind aber jene beiden Bereiche zu zählen, welche die Schweizer DNA, nämlich ihren Staatsaufbau, ihre direkte Demokratie und ihre rechtliche Eigenständigkeit betreffen: die dynamische Rechtsübernahme und das Streitbeilegungsverfahren.

Die dynamische Rechtsübernahme wäre zwar grundsätzlich akzeptabel, aber nur, wenn die Schweiz eine faire Möglichkeit eines Opting-out hätte und ihr auch gewisse Ausnahmeregelungen gewährt würden. Das Streitbeilegungsverfahren dagegen kommt einer faktischen Entmachtung der Schweiz gleich, da letztinstanzlich der europäische Richterspruch durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gilt. Das lässt sich nicht relativieren.

Wenn man das Common Understanding unter dem Gesichtspunkt der Fairness genauer liest, so springt diesbezüglich die Ziffer 12 zu den Ausgleichsmassnahmen ins Auge: Diese widerspricht allen Regeln der Fairness. Sollte das Schiedsgericht feststellen, dass die Schweiz gegen eines der Abkommen verstossen hat, hätte die EU die Möglichkeit, Ausgleichsmassnahmen im betroffenen Abkommen oder in jedem anderen Binnenmarktabkommen zu ergreifen. Damit wird der Willkür Tür und Tor geöffnet.

Anders als das Common Understanding suggerieren könnte, ist noch unklar, was der Bundesrat gegenüber der EU in diesen beiden heiklen Bereichen konzediert hat und was nicht. Die Öffentlichkeit ist bis anhin also auf Vermutungen darüber angewiesen, inwieweit sich der Bundesrat in diesen Fragen bereits verpflichtet und gebunden fühlt. Das ist einer demokratischen Diskussion unwürdig.

Der Bundesrat könnte in den Verhandlungen versuchen, die Bilateralen III für die EU attraktiver zu gestalten, etwa mit einer Adaption des Personenfreizügigkeitsabkommens oder einer angemessenen Erhöhung der Schweizer Finanzzahlungen an die EU. So könnte Brüssel möglicherweise dazu gebracht werden, mit der Schweiz neue Abkommen zu schliessen, ohne auf der Rolle des EuGH bei der Streitschlichtung und der integralen und weitgehend ausnahmslosen dynamischen Rechtsübernahme zu beharren. Das wäre gegenüber einem unabhängigen und souveränen Staat wie der Schweiz nichts anderes als normal und fair.

Über Alternativen zum bilateralen Weg nachdenken

Sollte die EU, was zu erwarten ist, bei der Möglichkeit zur einseitigen Anrufung eines Schiedsgerichts, der dominierenden Rolle des EuGH und der kaum ein Opting-out zulassenden dynamischen Rechtsübernahme hart bleiben, muss seitens der Schweiz über eine alternative Zusammenarbeitsform nachgedacht werden, nicht zuletzt über ein weiterentwickeltes Freihandelsabkommen.

Innenpolitisch muss es den Gewerkschaften klar werden, dass viele Wirtschaftsbranchen sich die Zustimmung der Gewerkschaften zu den Bilateralen III nicht mit sachfremden Forderungen wie der Allgemeinverbindlichkeit aller GAV erkaufen werden. Der verbleibende Spielraum unseres liberalen Arbeitsmarktes darf nicht weiter eingeschränkt werden, auch wenn dies das Ende des bilateralen Wegs bedeuten sollte. Auch deshalb ist es notwendig, über Alternativen zum bilateralen Weg nachzudenken.

Die Schweiz kann keinen Verträgen zustimmen, die den Geist einer Verabsolutierung des «freien Binnenmarkts» in sich tragen und fundamentale Grundsätze der Schweizer Staatsordnung, der Rechtsetzung und Rechtsprechung sowie der demokratischen Entscheidungsfindung missachten. Die Schweiz ist kein Mitgliedstaat der EU – und will dies auch nicht sein. Es ist von grosser Tragweite, zu welchen Ergebnissen die nun anstehenden Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU in diesen beiden heiklen Bereichen führen.

Dieser Gastkommentar wurde am 22. Mai 2024 in der NZZ veröffentlicht. Mit freundlicher Genehmigung der NZZ sowie der Autoren.