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Aufgegriffen

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01.04.2024

Stop and Go

Mitten in einer Nachrichtenflaute kündigen zwei Zentralbanken überraschende geldpolitische Schritte an: die Bank of Japan kehrt von Negativzinsen zu positiven Zinsen zurück, während die Schweizerische Nationalbank die Zinsen senkt. Stop and Go, und das innerhalb von nur einer Woche. In beiden Fällen reibt man sich die Augen.

Konrad Hummler
Private Client Letter

Mitten in einer Flaute, was relevante Nachrichten betrifft – die Kriege ziehen sich ereignisarm in die Länge, Potentaten werden völlig unüberraschend mit grossen Mehrheiten wiedergewählt, die amerikanische Präsidentschaftswahl ist so offen wie nie zuvor – platzen zwei geldpolitische Schritte, die irgendwie exotisch wirken.

So kündigte die Bank of Japan (BoJ) Mitte März an, von ihrem langjährigen Negativzinsregime abzurücken und wieder zu positiven Sätzen zurückzukehren. Fast zeitgleich informierte die Schweizerische Nationalbank (SNB) über eine Zinssenkung. Stop and Go, und das innerhalb von nur einer Woche. In beiden Fällen reibt man sich die Augen.

In Japan wird seit Jahren gegen Deflation gekämpft. Aufgrund der raschen Alterung der Gesellschaft leidet die Binnenwirtschaft an einer Nachfrageschwäche. Durch tiefe Zinsen hielt man den Yen schwach, um wenigstens den Aussenhandel nicht zu gefährden; die höheren Preise für Importgüter nahm man in Kauf oder begrüsste sie sogar als Beitrag gegen die Inflation. Das soll nun vorbei sein. Naja. Notenbankzinsen scheinen rund um den Nullpunkt herum kaum oder nur mit grosser Verzögerung zu wirken. Dann kommt’s eigentlich gar nicht so drauf an, wie hoch die Zinsen sind.

Die SNB warnte demgegenüber bis vor ganz kurzer Zeit vor einem Aufflammen inflationärer Kräfte und liess das Publikum eine Weiterführung der eher restriktiven Geldpolitik erwarten. April, April. Und das Mitte März. Entwarnung. Obschon die importierten Rohstoffpreise und die landesintern generierten Mieten anderes erwarten lassen. Was könnten die wahren Gründe sein?

Foto von David Watkis auf Unsplash
Beide Notenbankentscheide überraschten die Finanzmärkte: Die Leitzinserhöhung der BOJ ebenso wie die Senkung durch die SNB. (Bild: David Watkis/ Unsplash)

 

Im Falle von Japan könnte man argumentieren, dass bei einem Überhang an Rentnern in der Wirtschaft tiefste oder gar negative Zinsen gar nicht zielführend sind, um zu stabilerem Konsum zurückzukehren. Denn die Zinsen beeinflussen die Erwartungshaltung der wichtigsten Gruppe von Konsumenten, jene der Alten, eher negativ als positiv. Implizit kennen sie den Zusammenhang zwischen den Zinsen und ihren eigenen Renten. Tiefstzinsen machen Angst, und Angst tötet noch vorhandene Konsumlust ab. Vielleicht erhofft sich die BoJ von der Zinserhöhung, so zaghaft sie auch noch ausgefallen ist, einen Motivationsschub. Wir werden sehen.

Bei der SNB liegt eine maliziöse Interpretation nahe: Der abtretende SNB-Präsident Jordan will sich auf diese Weise noch ein positives Geschäftsergebnis «seiner» Nationalbank sichern. Denn tiefere Zinsen als jene im Ausland schwächen tendenziell den ohnehin recht hohen Schweizer Franken ab. Die immens hohen Anlagen der SNB notieren in Fremdwährungen. Das wird zu Gewinnen auf der Bilanz führen, und Bund und Kantone können sich auf satte Gewinnausschüttungen freuen. Vielleicht lassen sich sogar das Finanzloch im Verteidigungsdepartement und die 13. AHV-Rente auf diese Weise stopfen. Jordan als Retter des gestressten Bundeshaushalts?

Weniger maliziös wäre in beiden Fällen ein theoretisch fundierter Erklärungsansatz. Der Leipziger Volkswirtschaftsprofessor Gunther Schnabl wies in verschiedenen Aufsätzen darauf hin, wie «sticky», das heisst im Grunde genommen wirkungsarm oder erst mit grosser Verzögerung effektiv, Notenbankzinsen rund um den Nullpunkt zu sein scheinen. Er nennt das Phänomen «Hysterese» und sollte für diese Erkenntnis den Nobelpreis kriegen. Denn er hat damit die gesamte Geldpolitik aller Notenbanken der letzten 10, 15 Jahre intellektuell ausgehebelt.

Für uns Laien könnten wir es auch so formulieren: Rund um Null herum kommt’s eigentlich gar nicht so drauf an, wie hoch die Zinsen sind. Oder: Dank Hysterese ist keine Hysterie am Platz.

Dieser Artikel wurde am 1. April 2024 im „Private Client Letter“ veröffentlicht. Mit freundlicher Genehmigung der Private Client Bank.