Es mag paradox klingen, aber die westlichen Staaten leiden an Wohlstand. Das Wachstum von Bevölkerung, Einkommen, Konsum und Vermögen führt zu wachsenden Steuereinnahmen – und mittels Verschuldung lässt man die Einnahmen noch mehr sprudeln.
Da wächst die Gefahr, dass der Staat sich stetig aufbläht, die Verwaltung aufstockt und Dinge tut, die er besser bleiben liesse. Mit dem Volumen des Staates wächst die Regulierung unseres Lebens bis tief ins Private hinein. Jede Regulierung verdrängt ein Stück Freiheit.
Niemand weiss, wer die Zeche zahlt
Zwar gibt es Politiker, für die Freiheit und schlanker Staat nicht nur leere Phrasen sind, aber es sind wenige, und ihre Rufe verhallen in den Gängen der Parlamente und in den Amtsstuben.
Solange genügend Geld vorhanden zu sein scheint, fehlt der politische Wille zum Masshalten. Der Wohlfahrtsstaat wird laufend ausgebaut, auch vom Volk. Er beglückt breite Bevölkerungsteile bis weit hinauf ins akademische Milieu. Und niemand weiss genau, wer die Zeche zahlt.
Doch Bürokratie ist keine staatliche Spezialität. Grosse Unternehmen leisten sich immer mehr Stäbe, Vorschriften und bürokratische Abläufe. Sie spielen im Ringelreihen politischer Korrektheit eifrig mit und sehen ihre Aufgabe zunehmend nicht nur darin, mit Produkten und Dienstleistungen Gewinne zu erwirtschaften (und Steuern zu zahlen).
Sie wollen Haltung zeigen, die Welt retten und allen möglichen Gruppen gerecht werden. «Wokeness» ist längst keine Exklusivität der politischen Linken mehr, sie ist zu einem Geschäft geworden, das intensiv bewirtschaftet wird. Die Rechnung zahlen die Konsumenten sowie die Angestellten, die sich den Regeln der «Wokeness» unterwerfen müssen und so persönliche Freiheit einbüssen.
Freiheitskompatibles Mass für den Staat
Solche Entwicklungen müssen liberale Skeptiker, die den Staat nicht ablehnen, sondern nur auf ein freiheitskompatibles Mass reduzieren möchten, mit Sorge erfüllen. Wir verstehen uns als solch liberale Skeptiker und haben in den letzten acht Jahren zuerst separat, dann unter «Schwarz und Wirz» im wöchentlichen Wechsel an dieser Stelle versucht, den Zeitgeist aus liberaler Perspektive zu hinterfragen und den interventionistischen, paternalistischen, staatsgläubigen Trends gegenzusteuern.
So sind mit der Zeit rund 400 Kolumnen entstanden. Dies ist der letzte Text dieser Reihe – und der erste, den wir gemeinsam verfasst haben. Eine Auswahl der Kolumnen wird demnächst im Buch «Weder rinks noch lechts» bei NZZ Libro erscheinen. Der Titel, von Ernst Jandls berühmtem Gedicht inspiriert, bringt zum Ausdruck, dass wir uns zwar an der Idee der offenen Gesellschaft und der liberalen Marktwirtschaft orientieren, aber jenseits des Rechts-links-Schemas, frei von parteipolitischer Vereinnahmung.
Auf dieser Basis haben wir die Staatsgläubigkeit, die Klientelpolitik, die Angst vor dem Wettbewerb, den Regulierungsdrang, die Exzesse der Verschuldung, die Fehlanreize der Umverteilung und Entlohnung oder die Bedrohung der Meinungsfreiheit seziert. Wir bedanken uns bei Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, für die vielen Reaktionen, ob zustimmend oder kritisch. Gerade respektvoller Widerspruch adelt den liberalen Skeptizismus.