Der Bundesrat will Verhandlungen mit der EU zur Fortsetzung des bilateralen Weges bis Ende Jahr zum Abschluss bringen. Abgesehen davon, dass sich jeder Verhandler mit sich selbst auferlegter Hast schadet, muss es einen skeptisch stimmen, dass das Vorhaben vor unehrlichen Beschönigungen strotzt.
Es fängt damit an, dass man in Bern die Bemühungen der letzten zwei Jahre als Sondierungsgespräche bezeichnet. Tatsächlich waren die Gespräche mehr. Das Common Understanding, das – ohne parlamentarisches Mandat – erarbeitet wurde, wirkt wie ein Verhandlungsresultat, an dem sich wenig ändern lässt.
Eine Neuauflage des Alten?
Ferner macht hellhörig, dass jene Kreise, die den Bundesrat heftig kritisiert hatten, als er 2021 die Verhandlungen als gescheitert erklärte, nun das Common Understanding als vorteilhaft darstellen. Hat der Bundesrat also doch richtig gehandelt und nun mehr herausgeholt? Oder ist das Ergebnis vielleicht doch nur eine Neuauflage des Alten?
Es gibt Pluspunkte wie die neuen Abkommen (Gesundheit, Lebensmittelsicherheit, Strom), den Paketansatz und, als Folge, den Wegfall einer Generalguillotine. In Art. 12 des Entwurfs wird das Schreckensinstrument aber versteckt doch eingeführt: Bei Verstössen gegen Schiedsgerichtsurteile in einem Abkommen können Ausgleichsmassnahmen in jedem anderen Binnenmarktabkommen ergriffen werden.
Brüssel liebt solch sachfremden Druck wie den Versuch, in den bilateralen Gesprächen die Schweiz mit ihrem weitgehenden Ausschluss vom Forschungsprogramm Horizon zu erpressen. Sachfremde Massnahmen gehören ins Gruselkabinett.
Stark überschätzte Vorteile
Die grösste Beschönigung liegt in der Darstellung von Nutzen und Kosten des angepeilten Abkommens, das auch als «Bilaterale III» firmiert. Der Wohlstand wird über alles gestellt, und betont werden vor allem die – kurzfristigen – Vorteile der Teilhabe am Binnenmarkt. Elfmal wird im Common Understanding diese über den ungehinderten Marktzugang hinausgehende Teilhabe beschworen.
Diese Vorteile sind real, werden aber weit überschätzt. Dagegen wird der Preis für die Vorteile bagatellisiert oder negiert. Dabei ist er sehr hoch. Er bestünde, wenn nicht fundamentale Verbesserungen gelingen, in der Beschädigung der politischen und ordnungspolitischen Stärken der Schweiz. Die geforderten Kohäsionszahlungen verblassen demgegenüber.
Illiberale Zugeständnisse
Die dynamische Rechtsübernahme und die Rolle des Europäischen Gerichtshofs in der Streitbeilegung gefährdeten nämlich vielleicht nicht de iure, sicher aber de facto das einzigartige Staatsmodell der Schweiz. Es ist mit dem Staatsverständnis der EU und ihrer Mitglieder nicht kompatibel. Das Projekt gefährdete aber auch die marktwirtschaftliche Ausrichtung der Schweiz.
Es gibt Liberale, die, nur um die Gewerkschaften ins Boot zu holen, zu illiberalen Zugeständnissen wie der Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen bereit wären. Vor allem aber begäbe man sich mit der dynamischen Rechtsübernahme weitgehend der Möglichkeit, sich den Harmonisierungstrends und ordnungspolitischen Fehltritten der EU zu entziehen. Das sind sehr hässliche Kröten. Sie bleiben es auch, wenn man versucht, sie schönzureden.