Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erwartet für ihre mehrheitlich wohlhabenden Mitgliedsländer eine Phase «gedämpften Wachstums». Das ist euphemistisch, denn die Medien sind voll mit Rezessionsprognosen. Es ist kaum vorstellbar, dass die zumal im Euro-Raum zunächst verschlafene Bekämpfung der Inflation nun ohne Konjunktureinbruch abgehen könnte. Die Inflation weist nämlich fast galoppierende Züge auf. Für Deutschland rechnen Experten mit bald zweistelligen Teuerungsraten. Würden sie anhalten, wäre das Geld innerhalb von sieben Jahren noch halb so viel wert.
Eine solche Dynamik muss man beherzt bremsen, unter Inkaufnahme konjunktureller Kollateralschäden. Die Schweiz steht zwar besser da als ihre Nachbarn, aber angesichts ihrer Offenheit und Aussenhandelsorientierung wird sie vom Sog der Rezession mit erfasst werden.
Doch wäre eine Rezession so schlimm? Ist es sinnvoll, mit allen erdenklichen staatlichen Interventionen die Rezession zu bekämpfen oder Wirtschaft und Bevölkerung so sehr in Watte zu packen, dass sie von der Rezession fast nichts spüren? Die Fragen stellen, heisst, sie verneinen. Erstens muss man derzeit zwischen Rezession und Inflation abwägen. Da, wie die Erfahrung lehrt, aus jeder Inflation leicht eine unkontrollierbare Hyperinflation werden kann, gebührt der Inflationsbekämpfung der Vorrang.
Zweitens darf man nicht glauben, der Versuch der Staaten, mit Zuschüssen, Preisdeckelungen, 9-Euro-Tickets und Ähnlichem Kaufkraft und Nachfrage zu stabilisieren, sei gratis. Die Annehmlichkeiten der lockeren Geldpolitik kamen entgegen manch marktfeindlicher Propaganda fast allen zugute, und das Sicherungsnetz der Wohlfahrtsstaaten sorgt dafür, dass selbst die Schwächsten in einer Rezession nicht abstürzen. Vor diesem Hintergrund sollten auch alle die Last der Rezession tragen.
Drittens bringen Rezessionen eine Strukturbereinigung. Unternehmen, die schon vorher kaum über die Runden kamen, müssen in solchen Phasen redimensionieren oder ganz schliessen. Ihre Belegschaft wird zumal in einem Land wie der Schweiz, deren Arbeitsmarkt ohne Zuwanderung austrocknen würde, rasch andernorts Arbeit finden. Zugegeben: Pandemie, Energiepreisschock und Rezession kurz nacheinander können selbst gesunde Betriebe ins Schlingern bringen, so dass eine gewisse pragmatische Grosszügigkeit angebracht scheint. Aber deswegen jegliche Bereinigung zu torpedieren, wäre gleichwohl verheerend.
Viertens gab es in den letzten 40 Jahren in der Schweiz vier grössere Rückgänge des realen Bruttoinlandprodukts (zwischen 1 und 3 Prozent). Trotzdem hat sich die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung im gleichen Zeitraum verdoppelt. Diese längerfristige Perspektive relativiert die jeweilige kurzfristige Panik. Konjunkturschwankungen um einen Wachstumspfad gehören fast naturgesetzlich zu einer dynamischen Wirtschaft. Gefährlich sind sie nur, wenn sie zu gross oder chronisch werden. Das sollte man verhindern. Mit kleineren und kürzeren Rezessionen sollte man dagegen gelassener zu leben lernen.