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20.09.2022

Das Übergewinn-Gerede

Wer von Übergewinnen redet, tut so, als kenne er den richtigen Gewinn. Und wer Zufallsgewinne sagt, gibt vor, die Normalität vom Zufall unterscheiden zu können. Mit dem Versuch, diese Gewinne abzuschöpfen, begibt man sich auf die schiefe Ebene der Wirtschaftslenkung, weg von der Marktwirtschaft.

Gerhard Schwarz
NZZ
Der ereignisbasierte Gewinn eines Unternehmens, das während einer Maskenpflicht Masken liefern kann, dient als Beispiel für den Zufallsgewinn. (Unsplash)

 

Unbekümmert reden derzeit quer durch die weltanschaulichen Lager alle von Übergewinnen der Energieunternehmen, die man besteuern müsse. Der Begriff ist, so verwendet, unsinnig. Im Rechnungswesen bezeichnet Übergewinn den Gewinn, der übrig bleibt, wenn alle Ansprüche der Kapitalgeber, also Zinsen für Fremdkapital und Dividenden für Eigenkapital, abgedeckt sind. Er ist eine gute Sache. Ein Unternehmen ist erst erfolgreich, wenn es einen die Kapitalkosten übersteigenden Übergewinn erzielt. Politik und Medien verstehen aber unter Übergewinn etwas Schlechtes, einen ein angebliches Norm-Mass übersteigenden Gewinn.

Autobahnanschluss und Maskenpflicht

«Zufallsgewinn» ist der passendere Begriff. Das ist ein Gewinn, der auf Ereignissen basiert, die vom Unternehmen nicht beeinflusst, geplant und vorhergesehen werden konnten. Oft hat er mit der allgemeinen Marktlage zu tun, die sich abrupt verbessert, öfter aber mit staatlichen Entscheiden, etwa wenn ein Autobahnanschluss die Firmengrundstücke in der Nähe aufwertet oder eine Maskenpflicht den Unternehmen, die Masken liefern können, Gewinne in die Kasse spült. Und nun ist der Krieg ein solches Ereignis.

Die Begriffe kranken aber an der Unmöglichkeit einer Abgrenzung. Das Leben ist ein Auf und Ab, voller Zufälle und richtiger wie falscher Einschätzungen der Zukunft. Exemplarisch zufällig sind Lottogewinne. Müssten sie also zu 100 Prozent besteuert werden? Und erzielt, wer aus Vorsicht viel Gas auf Lager genommen oder sich durch Terminkontrakte beim Ausbruch des Krieges abgesichert hat, Übergewinne? Handelt unmoralisch, wer von einem Rohstoff mehr einkauft, als er benötigt, weil er hofft, die Ware zu einem höheren Preis wieder verkaufen zu können?

Der zu wenig bekannte Austroliberale Fritz Machlup hat in den 1930er Jahren in seiner Kolumne «Zwei Minuten Volkswirtschaft» im «Neuen Wiener Tagblatt» den Nutzen der Spekulation und die Leistung des biblischen Spekulanten Josef in Ägypten betont und erklärt, warum Spekulation nicht Knappheiten schafft, sondern nur hilft, sie früh zu erkennen.

Es gibt keinen richtigen Gewinn

Hinter der pejorativen Verwendung des Ausdrucks «Übergewinn» verbirgt sich die unter Nicht-Ökonomen verbreitete Vorstellung, es gebe einen richtigen Gewinn (und einen richtigen Preis). Doch das ist intellektuelle Anmassung. Niemand, schon gar nicht eine staatliche Behörde, weiss, welcher Gewinn mit einem bestimmten Produkt und einer konkreten Unternehmung richtig ist. Einen Norm-Gewinn gibt es nicht. Wäre es anders, müsste der Staat übrigens auch die Untergewinne ausgleichen – die Planwirtschaft wäre perfekt.

Vor diesem Hintergrund entbehrt es nicht der Ironie, dass die «Übergewinne» bei den Stromproduzenten Folge des staatlich festgelegten «Merit-Order»-Prinzips sind. Es besagt, der Preis des jeweils teuersten berücksichtigten Anbieters, derzeit also jener der Gaskraftwerke, gelte für alle Produzenten. Absicht war es, den Ökostrom-Produzenten, die sehr niedrige laufende Produktionskosten haben, grosse Gewinnspannen zu verschaffen. Nicht zum ersten Mal sieht sich der Staat nun veranlasst, die Folgen seiner gutgemeinten Politik zu korrigieren.