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09.08.2022

Verhältnis Schweiz-EU: von einer hinterhältigen Idee zum Blockadebrecher

Die Schweiz darf in den Beziehungen zur EU nicht defensiv reagieren. Sie sollte mit autonomen Reformen, vor allem aber mit einem Vorschlag zur Modernisierung des Freihandelsabkommens von 1972 das Gesetz des Handelns an sich ziehen. Die einst ziemlich hinterhältig versteckte Idee könnte nun helfen, die derzeitige Blockade aufzubrechen.

Gerhard Schwarz
NZZ

In einem Interview aus Anlass ihres Rücktritts als Leiterin des Seco hat Staatssekretärin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch erklärt, dass sie an eine Lösung der Probleme zwischen der Schweiz und der EU innert maximal vier Jahren glaube, vielleicht schon früher.

Ihre nüchterne Gelassenheit kontrastiert wohltuend mit dem Alarmismus, der in Teilen der Wirtschaft und der Gesellschaft von jenen Leuten gepflegt wird, die unbeirrt an der falschen Erzählung festhalten, die Schweiz habe die Verhandlungen über das Rahmenabkommen einseitig abgebrochen. Dabei hat Bern nur, wenn auch unanständig spät, auf die Erklärung der EU reagiert, es gebe nichts mehr zu verhandeln. Ich teile allerdings die Sorge der scheidenden Staatssekretärin, dass die Schweiz nun defensiv agiert und damit unter Druck gerät bzw. sich selbst unter Druck setzt.

Die Schweiz muss sich bewegen. Es gibt Entscheide, die die Schweiz völlig autonom fällen kann. So sollte sie, wie dies Frau Ineichen-Fleisch vorschlägt, in bestem Eigeninteresse die staatlichen Beihilfen endlich marktwirtschaftskonform lösen. Sie kann sich dabei die EU zum Vorbild nehmen, ohne gleich alles zu übernehmen. Die Schweiz sollte auch versuchen, bei den flankierenden Massnahmen von den grössten Übertreibungen und der von den grenznahen Nachbarregionen oft als schikanös empfundenen Art und Weise der Umsetzung dieser Massnahmen wegzukommen. Beide sind kein liberales Ruhmesblatt und für den Wirtschaftsstandort Schweiz alles andere als vorteilhaft.

Eine weitere mögliche Stossrichtung wird erstaunlicherweise kaum ins Spiel gebracht, nämlich die Modernisierung des Freihandelsabkommens von 1972. Im Anhang des Entwurfs für das institutionelle Rahmenabkommen (InstA) wurde eine solche Modernisierung ziemlich versteckt postuliert. Sie ist also auch von der EU gewollt. Das Versteckspiel hatte allerdings einen handfesten Grund: Ziel war es nämlich, das modernisierte Freihandelsabkommen ebenfalls den Regeln des Rahmenabkommens zu unterstellen. Das wollte man nicht zu deutlich kundtun.

Nun aber hat sich die Situation geändert. Ohne Unterstellung unter ein Rahmenabkommen ist die Modernisierung des Abkommens von 1972, eines Liberalisierungsvertrags souveräner Partner ohne Über- oder Unterordnung, sinnvoll. Es ginge etwa um bessere Zusammenarbeit beim Zoll, die Vereinfachung der Ursprungsregeln, die Regelung von Konformitätsbewertungen, den Einbezug von Dienstleistungen, die Behandlung geistigen Eigentums und die Klärung von Themen wie Staatsaufträge, Submissionen und Staatsbeihilfen.

Dafür braucht es ein Mitmachen der EU, aber da sie im Rahmen des InstA die Modernisierung des Freihandelsabkommens gutgeheissen hat, dürfte sie sich nun nicht dagegenstellen. Umgekehrt gehen in der Schweiz jenen, die wegen der Unterstellung unter das InstA gegen die Modernisierung waren, die Einwände aus. Insofern wäre ein schweizerischer Vorschlag zur Modernisierung des Freihandelsabkommens nicht nur ein Zeichen guten Willens, sondern vor allem ein Zeichen dafür, dass die Schweiz weiss, was sie will.