In der Auseinandersetzung um wirtschafts- und gesellschaftspolitische Fragen spielen Worte und Begriffe oft eine wenig sichtbare, aber entscheidende Rolle. Es zählt zu den aus liberaler Sicht verheerendsten Entwicklungen, dass es den Staats- und Umverteilungsgläubigen gelungen ist, Gerechtigkeit und Gleichheit als zwei Seiten der gleichen Medaille darzustellen. Selbst in konservativen und liberalen Köpfen hat sich das so festgesetzt, zum einen, weil Gerechtigkeit ja tatsächlich mit einer Gleichheitsvermutung einhergeht, zum anderen, weil man sich ungern dem Vorwurf der Ungerechtigkeit aussetzt. Daher schwimmt man lieber mit dem Strom, als dass man sich gegen egalitäre Tendenzen stemmt.
Wo liegen die Irrungen dieser Gleichsetzung? Erstens ist nur Gerechtigkeit ein Wert per se, nicht Gleichheit. Für Aristoteles überragte die Gerechtigkeit alle anderen Tugenden, bei Thomas von Aquin ist sie eine der Kardinaltugenden. Dagegen ist Gleichheit kein eigenständiger Wert. So strebt niemand danach, dass alle Menschen gleich krank oder gleich arm sind. Gleichheit ist höchstens ein sekundärer Wert und nur in Verbindung mit positiven Dingen sinnhaft.
Zweitens ist die Gleichheit vor dem Gesetz in der Tat eine Anforderung der Gerechtigkeit (und eine Bedingung individueller Freiheit in einem Staat). Der Anspruch auf Gleichheit des Wohlstands, also Gleichheit der Ergebnisse des wirtschaftlichen Tuns, ist es nicht, denn er lässt sich nur auf totalitäre Art erfüllen. Daher ist die absichtliche oder gedankenlose Ausweitung der Gleichheitsforderung von den elementaren Menschenrechten auf soziale und ökonomische Ansprüche unverantwortlich.
Drittens ist in vielerlei Hinsicht mehr Ungleichheit gerecht und mehr Gleichheit ungerecht. Das kommt in der berühmten Formel, man müsse Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln, zum Ausdruck. Menschen unterscheiden sich in vielen Dingen, in ihren Fähigkeiten, ihrem Willen und ihrer Bereitschaft zur Leistung, ihren Interessen und ihren Vorstellungen von einem guten Leben. Wollte man erreichen, dass es allen ähnlich gut geht, verlangte dies, wie Friedrich August von Hayek in «Die Verfassung der Freiheit» dargelegt hat, eine massive Ungleichbehandlung der Menschen. Wenn man das nicht will, wenn man die unterschiedlichen Begabungen und Leistungen nicht staatlich ausgleicht, landet man bei der Leistungsgerechtigkeit.
Schliesslich ist, viertens, der wohl verhängnisvollste Irrtum der Gleichheitsideologie der Wunsch, den Zufall auszuschliessen. Der Zufall ist nämlich weder gerecht noch ungerecht. Gewiss sollte eine liberale und humane Gesellschaft für jene sorgen, die vom Schicksal benachteiligt sind. Aber ein Staat, der darüber hinausgeht, der jene, die im Leben Glück haben, zu sehr zur Kasse bittet, ist nicht gerecht, sondern egalitär, und gefährdet jenen Fortschritt der Zivilisation, der sich stets aus einer Mischung aus Zufall, Können, Einsatz und Risiko nährt.