Mit blosser Kosmetik lassen sich die Probleme in der Altersvorsorge nicht lösen, sagt Gerhard Schwarz. Mit den vz news spricht der Ökonom über unbequeme Wahrheiten und falsche Rücksichten.
Herr Schwarz, kürzlich schrieben Sie: «Die Sanierung der Altersvorsorge erstickt in Tabus und falschen Rücksichten». Warum kommen Reformen nicht vom Fleck?
Für die Jungen ist alles weit weg, darum engagieren sie sich zu wenig. Die Pensionierten – eine politisch starke Gruppe, zu der auch ich gehöre – wollen ihren Besitzstand wahren. Und die Politik will sich bei dem Thema nicht die Finger verbrennen.
«Die Altersvorsorge strotzt vor ungerechten Fehlanreizen»
Welche Wahrheiten sind denn so unbequem?
Erstens verlangt jede nachhaltige Finanzierung der Vorsorge, dass man sauber rechnet. Daran lässt sich nicht rütteln. Wenn Menschen früh in Pension gehen und länger Rente beziehen, muss die jährliche Rente entsprechend kleiner ausfallen. Wenn sie länger arbeiten und ab dem Rentenbezug eine kürzere Lebenserwartung haben, ist eine höhere Rente möglich. Das gilt für die AHV und die zweite Säule. Die Altersvorsorge strotzt vor ungerechten Fehlanreizen. Mit den massiv überhöhten Umwandlungssätzen in der zweiten Säule wird von Jung zu Alt umverteilt. Und wer nach 65 arbeitet, zahlt weiter AHV-Beiträge, ohne dass sich die AHV-Rente erhöht.
Und zweitens?
Wir haben uns an ein fixes Rentenalter gewöhnt. Stattdessen sollte man ein Referenzalter einführen, ab dem man Rente beziehen kann – etwa ab 60. Länger zu arbeiten bedeutet, mehr Beiträge zu zahlen und weniger lang Rente zu beziehen. Wer mit 60 in Pension geht, bekommt eine kleine Rente, wer bis 67 oder 68 arbeitet, eine deutlich höhere. Die gesundheitliche Belastung sehr anstrengender Berufe wird mit einem Zuschlag ausgeglichen.
Lösen diese Vorschläge die Probleme der Altersvorsorge?
Nein. Denn drittens müssen wir den Irrglauben überwinden, man könne die Vorsorge unter völliger Schonung der Rentnerinnen und Rentner sanieren. Wir dürfen das saubere Rechnen und die Flexibilisierung des Rentenalters nicht allein den heute aktiven Generationen überbürden.
Solche Ansätze stossen sicher auf enormen Widerstand…
Natürlich. Aber wollen wir die Jahrgänge, die über oder knapp unter 65 sind, von der nötigen Sanierung ausnehmen, weil wir ihren Widerstand fürchten? Dann würde es mindestens ein Jahrzehnt dauern, bis die Sanierung greift. Und sie würde auf dem Buckel des jüngeren Teils der Bevölkerung erfolgen. Das ist ungerecht. Es führt kein Weg daran vorbei, die Rentnerinnen und Rentner zu überzeugen und zu motivieren, zu einer nachhaltigen Reform der AHV und der zweiten Säule beizutragen – im Interesse der Kinder und Enkel und im Interesse des Zusammenhalts. Die Altersvorsorge ist eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Zeitbombe. Mit blosser Kosmetik wird man sie nicht entschärfen können.
ZUR PERSON
Gerhard Schwarz ist promovierter Ökonom. Er leitete 16 Jahre lang die Wirtschaftsredaktion der NZZ und war von 2010 bis 2016 Direktor der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse. Sein neustes Buch heisst «Die Schweiz hat Zukunft. Von der positiven Kraft der Eigenart».