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23.02.2021

Pensionskassen-Versicherte haben kaum Einfluss

Zwischen Aktiengesellschaften und Pensionskassen gibt es Ähnlichkeiten. Doch während Aktionäre mit den Füssen abstimmen können, ist dies für Pensionskassen-Versicherte kaum möglich.

Gerhard Schwarz
NZZ

In meiner letzten Kolumne habe ich versucht zu zeigen, dass im Shareholder-Kapitalismus die Interessen der Stakeholder gewahrt werden, wenn man die Aktionäre zu langfristigem Denken und Handeln animieren kann. Es geht dabei immer um die Entscheidungsmacht im Unternehmen. Zahlreiche Reaktionen haben mich an ein Problem erinnert, das zu wenig Beachtung findet, nämlich die weitgehende Machtlosigkeit der Pensionskassen-Versicherten. Vielleicht sind Lösungen dafür schlicht zu schwierig.

Immer mehr Forderungen

Zwischen Aktiengesellschaften und Pensionskassen gibt es Ähnlichkeiten. Im einen Fall investieren Aktionäre Geld in ein Unternehmen. Sie tun es vielleicht, etwa bei einem Startup, weil sie von einer Idee begeistert sind. Vor allem aber tun sie es, zumal bei grossen und börsenkotierten Unternehmen, weil sie mit ihrer Investition dank Dividenden und der Steigerung des Unternehmenswerts langfristig Geld verdienen möchten.

Im anderen Fall äufnen Versicherte über Jahrzehnte hinweg obligatorisch Vorsorgekapital, das dann meist ihr grösstes (oder nach dem Eigenheim zweitgrösstes) Vermögen darstellt. In der Schweiz machen die von Pensionskassen und Versicherungen verwalteten Vermögen der beruflichen Vorsorge mehr als 1 Billion Franken aus. Dieses Kapital soll eine sichere und gute Altersrente finanzieren. Nun kommen immer mehr Forderungen auf, man möge die Unternehmens- bzw. die Anlagepolitik so ausrichten, dass sie allen möglichen Umwelt-, Sozial- und Governance-Anliegen gerecht wird – selbst wenn dies den finanziellen Erfolg schmälern würde.

Ermächtigung der Eigentümer

Hier endet die Ähnlichkeit. Wenn Aktionäre mit den Entwicklungen in «ihrem» Unternehmen unzufrieden sind, haben sie beide Möglichkeiten der Unmutsäusserung, die seit dem Buch von Albert O. Hirschman «Exit, Voice, and Loyalty» (1970) zum Begriffskasten der politischen Ökonomie gehören. Es stehen ihnen Abwanderung und Widerspruch (wie in der deutschen Ausgabe die freie Übersetzung lautet) zur Verfügung. Wenn ihnen also die Berücksichtigung der anderen Stakeholder und von externen Anliegen zu weit geht (und genauso, wenn sie ihnen zu wenig weit geht), können sie ihre Aktien verkaufen, oder sie können versuchen, an der Generalversammlung eine Mehrheit für ihre Strategie zu gewinnen. Das ist direkte Demokratie auf Kapitalbasis.

Von solcher Einflussnahme können Pensionskassen-Versicherte nur träumen. Sie gehören zu den rechtlosesten Subjekten im Kapitalismus. Widerspruch mit Aussicht auf Erfolg ist nicht vorgesehen. Vor allem können sie ihre Unzufriedenheit nicht durch einen Wechsel der Pensionskasse kundtun; sie können nicht mit den Füssen abstimmen. Wenn die Leitung einer Pensionskasse die Anlagen politisch korrekter ausrichten will, ist der Versicherte, der das anders sieht oder schlicht eine möglichst hohe und sichere Rente anstrebt, gefangen. Die Möglichkeit einer freien Wahl der Pensionskasse und eine deutliche Verbesserung der Governance, damit sich Widerspruch stärker manifestieren kann, wären daher wichtige und dringend nötige Schritte zur Ermächtigung jener, denen die riesigen Pensionskassenvermögen eigentlich gehören.