Die Coronavirus-Krise lässt die Schulden explodieren. Laut dem Institute for International Finance (IIF), einer weltweiten Vereinigung von Finanzhäusern, ist die globale Verschuldung per Ende September vergangenen Jahres um 15 000 Mrd. $ auf insgesamt 272 Bio. $ gestiegen. Darin spiegeln sich die Rettungsprogramme von Staaten sowie die starke Kapitalaufnahme von Unternehmen in der Krise. Seit dem Jahr 2016 sei bei der Verschuldung ein noch nie da gewesenes Tempo zu beobachten, teilten die Ökonomen des IIF dazu mit. Es sei sehr unsicher, wie die Weltwirtschaft diese Schulden ohne deutlich negative Auswirkungen auf die Wirtschaftsaktivität abbauen wolle.
Wenig Aufmerksamkeit
Trotz dieser beunruhigenden Perspektive erhält das Thema Schulden bei vielen Politikern und Wirtschaftsakteuren wenig Aufmerksamkeit. «Momentan sind alle im Sichtflug unterwegs», sagt Ivan Adamovich, Chef des Family-Offices Private Client Bank und Co-Herausgeber des Buchs «Vom Kredit zur Schuld – wenn Verschuldung die Freiheit bedroht». Kaum jemanden interessiere derzeit, was auf lange Sicht passiere und wer am Ende für die hohe Verschuldung bezahlen müsse.
Dies sieht auch Olivier Kessler, Leiter des Liberalen Instituts in Zürich, so. «Die Folgen des Schuldenanstiegs für die Zukunft werden definitiv unterschätzt. Anders kann man sich die Leichtsinnigkeit und Kurzsichtigkeit beim Verhängen von umfangreichen politischen Massnahmen nicht erklären», sagt er. Es finde kaum eine Abwägung statt. Je mehr man sich heute verschulde, desto kleiner werde der nötige Handlungsspielraum in der Zukunft, um künftige Herausforderungen zu meistern.
Schulden sind weniger problematisch, wenn auf der anderen Seite der Bilanz Vermögenswerte vorhanden sind. Bei einem Privathaushalt kann dies beispielsweise ein Haus oder ein Aktiendepot sein. Doch beim Staat ist dies aus Sicht von Adamovich wenig transparent. «Staatsschulden sind viel schwieriger zu fassen», sagt er. Möglicherweise habe die Schuldenmacherei der vergangenen Jahrzehnte bereits heute erhebliche Folgen, etwa durch niedrigeres Wirtschaftswachstum. «Eine höhere Staatsverschuldung bedeutet, dass wir noch mehr Geld ausgeben, das wir noch gar nicht erwirtschaftet haben», sagt Kessler. Dies werde für künftige Generationen Konsequenzen haben. Er zitiert den Ökonomen Roland Baader: «Wir werden nachhungern müssen, was wir vorausgefressen haben.»
Auch Zentralbanker sehen die Risiken. So sagte der Gouverneur der Banque de France, François Villeroy de Galhau, jüngst in einer Rede, wie ihn die Bank BNP Paribas in einer Studie zitiert: «Wir wissen nicht, ob und wann eine Tragödie – ein starker Vertrauensschock beispielsweise – passieren könnte. Was wir allerdings sicher wissen, ist, dass die wachsenden Staatsschulden ein immer grösseres Risiko darstellen – für uns, aber noch mehr für unsere Kinder und Enkel.»
Das System ausgehebelt
Die Staatsschuldenquote steigt in den meisten Industrieländern seit 40 Jahren, wie es in der Studie weiter heisst. Eine hohe Staatsverschuldung schwächt die Widerstandsfähigkeit von Volkswirtschaften gegen steigende Zinsen oder schwächeres Wirtschaftswachstum. In der Theorie verlangten Investoren dann höhere Risikoprämien bzw. Renditen beim Kauf entsprechender Staatsobligationen, heisst es in der Studie. Diesen Mechanismus haben die Zentralbanken mit ihrer ultraexpansiven Geldpolitik, etwa ihren Anleihekäufen, ausgehebelt.
Adamovich geht davon aus, dass die Zinsen auf absehbare Zeit sehr niedrig bleiben werden. Die Rede des damaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank Mario Draghi im Jahr 2012, in der dieser sagte, die EZB werde alles tun, um den Euro zu retten («whatever it takes»), sei im Nachhinein gesehen eine Art Wendepunkt gewesen. Seitdem verliessen sich die Investoren endgültig darauf, dass die Zentralbanken sie immer wieder retten würden, wenn es an den Finanzmärkten zu einer Krise komme. «In der Folge kann es nur immer mehr Interventionen geben », sagt Adamovich. Dadurch werden das kapitalistische System und die Marktwirtschaft immer stärker ausgehebelt. Selbst wenn die Inflation anziehe, sei nicht direkt mit Zinserhöhungen der Notenbanken zu rechnen, erwartet er.
Auch Kessler rechnet weiter mit sehr niedrigen Zinsen. Der politische Druck auf die Zentralbanken, die Zinsen tief zu halten, dürfte mit den noch höher aufgetürmten Schuldenbergen hoch bleiben, um die Staaten von der Zinslast und damit von den Konsequenzen ihres Handelns zu befreien.
Wie lange dieses Spiel noch so funktioniert, kann niemand seriös prognostizieren. Eine der Folgen der Geldpolitik könnte indessen eine stärkere soziale Kluft sein, denn das viele billige Geld treibt Aktienkurse und Immobilienpreise nach oben. Davon profitieren vor allem Wohlhabende. Weniger Vermögende indessen haben grosse Teile ihrer Gelder oftmals «auf dem Konto» und in schlecht verzinsten Anlagen liegen.
Auch die Gefahr einer Vertrauenskrise steht im Raum. «Eine Geldpolitik, welche die Schleusen immer weiter öffnet und die Märkte mit Geld fluten muss, kann nicht für immer weitergeführt werden», sagt Kessler. In der ersten Coronavirus-Welle im März gab es bereits einen Moment, als Marktbeobachter einen Zusammenbruch des Systems befürchteten. Grosse Teile des Obligationenmarkts wurden illiquide, und sogar der Handel mit den als besonders liquide geltenden US-Staatsanleihen war betroffen. Mit den Rettungsaktionen von Regierungen und Zentralbanken wurde diese Situation allerdings schnell behoben, und auch die Aktienmärkte erholten sich sehr rasch von ihrem Corona-Crash. «Trotzdem könnte diese Entwicklung eine Art Vorgeschmack gewesen sein auf das, was im Falle einer Vertrauenskrise passieren könnte», sagt Adamovich.
Der vorübergehende «Herzstillstand» an den Finanzmärkten in der Corona- Krise im März hat auch seine Lehren für Investoren.Adamovich empfiehlt, bei der Geldanlage gut zu diversifizieren. Dabei sollte die gesamte Vermögenssituation berücksichtigt werden – also die Finanzanlagen, aber auch etwaige Immobilien oder die Altersvorsorge in der Pensionskasse oder der Säule 3a.
Mit der Verschuldung haben sich im Finanzsystem grosse Risiken aufgebaut. Sparer und Anleger können hier schnell auf dem falschen Fuss erwischt werden, beispielsweise bei einem Zinsanstieg. «Anleger sollten sich darüber bewusst sein, dass ihre Risiken bei Obligationen noch schlechter entschädigt werden als in anderen Anlageklassen», sagt Adamovich.
Als eine der wichtigsten Regeln bei der Geldanlage gilt ihm, immer handlungsfähig zu bleiben und folglich solide finanziert zu sein. Eine Null- Risiko-Strategie sei allerdings auch nicht die richtige Lösung. Schliesslich fährt man so im derzeitigen Umfeld automatische Verluste ein. So droht eine Art «schleichende Enteignung » durch Negativzinsen und Inflation. Diese auch als finanzielle Repression bezeichnete Entwicklung ist derweil längst Realität geworden, wie sich an negativen Realzinsen zeigt.
Risiken eingehen – in Massen
Trotz den hohen Risiken im Finanzsystem sollten Sparer und Anleger folglich zumindest in Massen Risiken eingehen, sagt Adamovich. Diese müssten aber jederzeit unter Kontrolle bleiben. «Man sollte seinen Lebensstandard beispielsweise nicht an erwartete Renditen an den Aktienmärkten anpassen», sagt er. Der Erwerb einer Immobilie sei für die meisten Privatpersonen ein Klumpenrisiko. Sie sollten dabei zumindest nicht zu hohe Hypothekarschulden eingehen.
Auch für Kessler führt am verstärkten privaten Sparen wohl kein Weg vorbei. «Die Inflation fällt heute schon viel höher aus, als es die Inflationszahlen suggerieren», sagt er. Die Inflationszahlen bezögen schliesslich nur die Konsum- und nicht die Vermögensgüter ein.