Der Präsident des Austrian Institute, Martin Rhonheimer, hat Dr. Gerhard Schwarz, einem der beiden Herausgeber des Bandes, einige Fragen über Absichten und Inhalte des Buches vorgelegt, dessen Beiträge im Anschluss an einen Workshop der von ihm präsidierten Progress Foundation vom Juni 2019 zum Thema „Zerrüttete Diskussionskultur – In den Fängen politischer Korrektheit“ verfasst wurden.
Austrian Institute: Als die Beiträge zu diesem Buch geschrieben wurden, wusste noch niemand von einer kommenden Coronavirus-Pandemie. Warum fiel die Wahl auf dieses Thema? Hat es infolge der Ereignisse der letzten Monate sogar noch eine gesteigerte Aktualität erhalten?
Gerhard Schwarz: Die Gefährdung der Meinungsäußerungsfreiheit durch das, was man „politische Korrektheit“ nennt, muss alle Freunde der Freiheit seit langem besorgen. Wir übernehmen ja die meisten Fehlentwicklungen in den USA in der Regel mit einigen Jahren Verspätung. Der Entschluss, dieses Thema in einem Seminar zu vertiefen und daraus dann ein ganzes Buch zu machen, reicht rund drei Jahre zurück. Mit der Zeit wurde uns immer mehr bewusst, wie sehr die oft hemmungslosen Hassreden in den sozialen Medien eine ebenso große Gefahr darstellen. In der Auseinandersetzung mit den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie hat vor allem dieser Aspekt an Bedeutung gewonnen. Die relativ regierungstreuen Stimmen diskreditieren die Skeptiker allzu leichtfertig als Leugner und Verschwörungstheoretiker, während umgekehrt diese Skeptiker den Politikern Verantwortungslosigkeit, gezielte Einschränkungen der Freiheit und insgesamt böse Absichten unterstellen. Die Diskussionskultur ist zerrüttet.
Der Reigen der Beiträge wird durch einen klassischen Text von John Stuart Mill „Von der Denk- und Redefreiheit“ eröffnet. Was können wir von diesem Text aus dem Jahre 1869 und dem darin verfochtenen „Truth Principle“ heute noch lernen?
Bei Mill spielt die Begrenztheit menschlichen Wissens eine ähnlich zentrale Rolle wie ein Jahrhundert später bei Friedrich August von Hayek. Die zentrale Aussage des Kapitels aus Mills Klassiker On Liberty lautet, dass eine Regierung nicht dem Volk Meinungen vorschreiben darf und nicht bestimmen darf, welche Lehren und Argumente es hören sollte. Sonst vergebe man sich die Chance auf Wahrheitserkenntnis und verharre womöglich im Irrtum. Jede Beschränkung eines freien Raums des Diskurses schwächt in Mills Sicht die menschliche Urteilskraft, da niemand eine absolute Sicherheit für seine Argumentation haben könne. Man könne erst überzeugt sein, nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln, wenn man alle Gesichtspunkte und Meinungen studiert und gegebenenfalls die eigene Auffassung verbessert habe. Zudem erhebt gemäß Mill die Person oder Gruppe, die eine solche Begrenzung des Diskussionsraumes durchsetzt, implizit immer den Anspruch, über höheres Wissen zu verfügen. Mill sieht in der Selektion von Themen, Meinungen und Personen durch eine Obrigkeit eine Unfehlbarkeitsanmaßung, die gegen den Grundsatz des begrenzten menschlichen Wissens verstößt. Das ist heute so richtig wie damals, und es gilt auch, wenn die Selektion durch lautstarke gesellschaftliche Minderheiten oder Mehrheiten erfolgt.
„Die Existenz, die Lebendigkeit der Demokratie hängt davon ab, dass die Bürger informierte Entscheide treffen können. Was sie mit den Informationen tun, ist eine andere Sache.“
Ist Mills Vorstellung, dass Redefreiheit zur Wahrheitsfindung beiträgt nicht eine Illusion? Wird sich in einer demokratischen und freien Gesellschaft nicht einfach immer die „Wahrheit“ der Stärkeren bzw. der Mehrheit durchsetzen?
Nein, das ist keine Illusion. Sonst wären autoritäre und totalitäre Regime ja nicht so sehr darauf bedacht, die Redefreiheit einzuschränken. Die Gedanken kann man nicht kontrollieren, die öffentliche Äußerung dieser Gedanken schon. Aber man muss wohl unterscheiden zwischen der Wahrheitsfindung und der Wahrheitsdurchsetzung. Natürlich setzt sich in freien Gesellschaften nicht notwendigerweise immer die „Wahrheit“ durch. Die Mehrheit kann sich gegen die „Wahrheit“, gegen das „Richtige“ entscheiden. Aber sie wird es seltener und mit mehr Mühe tun, wenn sie wenigstens um die Wahrheit, um das Pro und Contra, um möglichst viele Argumente weiß. Das ist der Grundsatz der Aufklärung. Die Existenz, die Lebendigkeit der Demokratie hängt davon ab, dass die Bürger informierte Entscheide treffen können. Was sie mit den Informationen tun, ist eine andere Sache.
Herausgeber und Autoren des Buches sehen den Beitrag der freien Rede für die positive Weiterentwicklung der Gesellschaft in Gefahr durch neue Formen der sozialen Kommunikation, die oft ausgrenzend, manipulativ und hasserfüllt sind – von diskursiver Wahrheitssuche keine Spur! Gibt es eine praktikable und liberale Lösung, um dieser Gefahr zu begegnen?
Praktikable und liberale Vorstellungen gibt es schon, Lösungen im Sinne von garantierten Auswegen dagegen nicht. Liberale setzen bei den Individuen und deren Verantwortung an. Deshalb unser Appell an den Anstand, an den Respekt vor dem Andersdenkenden einerseits, unsere Ablehnung der Überempfindlichkeit und unsere Aufforderung zu einer gewissen Robustheit anderseits. Mit Blick auf das Thema der „Hassrede“ ist interessant, dass Mill zwar für eine anständige Diskussion eintritt, aber nicht fordert, maßlose Polemik, Beleidigung und Hohn zu verbieten. Er durchschaut nämlich, dass solche Vorwürfe häufig nur ein rhetorisches Mittel sind, um die gegnerische Seite als unmoralisch zu disqualifizieren. Für ihn wiegt das Unterdrücken oder die verzerrte Darstellung von Tatsachen und Argumenten viel schwerer.
„Anstand ist eine Haltung, eine Tugend; Tugenden kann man nicht erzwingen. Aber einige Regeln müssen auch in den sozialen Netzwerken gelten.“
Dann wäre Ihrer Meinung nach auch die Einführung gesetzlicher Regeln zur Erzwingung von Anstand und zur Vermeidung von „Hassrede“ wenig sinnvoll?
Anstand ist eine Haltung, eine Tugend; Tugenden kann man nicht erzwingen bzw. was erzwungen ist, kann man nicht Tugend nennen. Man kann und soll Anstand möglichst nicht strafrechtlich durchsetzen. Aber einige Regeln müssen auch in den sozialen Netzwerken gelten. Es geht – um eine besonders krasse, aber gar nicht so seltene Entgleisung herauszugreifen – nicht an, dass exponierte Menschen wie Politiker, Publizisten oder Künstler mit massivsten Morddrohungen aus dem Internet leben müssen. Es gibt ja auch ein Medienrecht. Zeitungen dürfen auch nicht jeden Unsinn, jede Unwahrheit, jede Beleidigung, jede Drohung veröffentlichen, auch nicht mit der billigen Entschuldigung, das sei nicht ihre Meinung, sondern stehe nur in den Leserbriefen. Das sollte man sich auch für elektronische Plattformen überlegen.
Auch wenn man Hassreden verurteilt und dagegen vorgehen möchte: könnte dies nicht als Vorwand missbraucht werden, missliebige Meinungen in den sozialen Medien durch unkontrollierte Macht zu zensurieren?
Natürlich ist die Grenzziehung schwierig, zumal den Hassreden in der öffentlichen Debatte eine Überempfindlichkeit auf alles, was als sexistisch oder rassistisch verstanden werden kann, gegenübersteht. Wobei klar sein muss: Es gab und gibt viel unbewussten, traditionell verankerten Rassismus und Sexismus, den sich die Menschen mit Recht nicht mehr gefallen lassen wollen. Die Sensibilisierung, die hier stattgefunden hat, war wertvoll. Der Jurist Milosz Matuschek verweist in unserem Buch aber auf die amerikanische Gesetzgebung, die sehr zurückhaltend sei mit dem Verbot von Inhalten („content regulation“); man gehe von der Grundannahme aus, dass es zunächst keine falschen Meinungen gebe. Man muss also aufpassen, dass man Begriffe und Themen nicht zu geistigen Sperrgebieten erklärt und damit Andersdenkende aus dem Diskurs ausschließt bzw. sie zur Heuchelei animiert. Auch politische und religiöse Äußerungen müssen offen diskutiert werden können. Wenn die Menschen glauben, sie können sich nur noch im privaten Bereich frei äußern, wenn sich die „Schweigespirale“ (Elisabeth Noelle-Neumann) dreht, ist die offene Gesellschaft in Gefahr.
„Man muss also aufpassen, dass man Begriffe und Themen nicht zu geistigen Sperrgebieten erklärt und damit Andersdenkende aus dem Diskurs ausschließt.“
Es gibt in dem Buch zum Thema „Höflichkeit“ einen schönen Text von Romano Guardini. Er nennt sie die „kleine Nächstenliebe“. Wären mehr Höflichkeit und Anstand ein Heilmittel gegen den Niedergang der Debattenkultur, wie in dem Buch beklagt wird?
Ja, das ist ein Anknüpfungspunkt. Manche werden einwenden, das sei etwas mager, aber wenn man die Freiheitsgefährdung, die jeder Überregulierung innewohnt, verhindern will, dann bleibt nicht viel anderes übrig als das Bemühen um eine Stärkung der Streitkultur, der Debattenkultur. Die Höflichkeit ist das Schmiermittel angenehmen Zusammenlebens. Man kann natürlich sagen, sie sei sehr formal, sei oft nicht ehrlich gemeint, sei falsch. Das stimmt zum Teil, aber selbst wo es stimmt, ist sie immer noch angenehmer als die Unhöflichkeit und die verbale Aggression. Allerdings ist mir der Begriff „Anstand“ lieber. Das umschreibt für mich besser eine innere Haltung jenseits von Knigge und Manieren. Anstand wurzelt in der Achtung vor dem anderen Menschen, im Respekt vor ihm, in der Erkenntnis des Guten in ihm, auch und gerade dort, wo er gänzlich andere Ansichten als die eigenen vertritt. Das schließt Polemik innerhalb gewisser Grenzen nicht aus. Eine Demokratie muss Dissens aushalten können. Das geht nur, wenn die Menschen nicht nur den sozialen Regeln der Höflichkeit folgen, sondern darüber hinaus ein feines Gespür für die Grenze zwischen dem Sagbaren und dem Unsäglichen entwickeln. Das ist Anstand.
Nun gibt es aber auch die „politische Korrektheit“, ihr ist der zweite Teil des Buches gewidmet. Politische Korrektheit wünschen wir eigentlich alle – im Sinne von Anstand und Respekt vor Andersdenkenden. Doch existiert davon auch eine problematische Form, Übertreibungen, die das Buch zur Sprache bringt. Wo liegt das Problem?
Wenn in unserem Buch klare und zum Teil heftige Kritik an der Ideologie der Political Correctness geübt wird, gilt diese Kritik ausschließlich der Einschränkung des öffentlichen Diskurses, der freien Debatte, und nicht der Forderung nach Respekt für den Diskurspartner. Natürlich muss man, wenn man provoziert, wenn man sich außerhalb der gängigen Meinungen bewegt, auch etwas aushalten. Kritik an jenen, die politisch „Unkorrektes“ vertreten, ist nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht. Aber diese Kritik darf nicht in Hass, Hetze, Mobbing und soziale Ächtung kippen. Eine gewisse Robustheit ist jenen, die sich quer stellen, durchaus zuzumuten. Aber es darf nicht so weit gehen, dass man ein Held sein muss, wenn man für eine offene Debatte eintritt und als Tabubrecher wirken möchte.
In dem interessanten und für mich überraschenden Text des Basler Ordinarius für Finanzmarkttheorie Heinz Zimmermann zum Thema „Wie politische Korrektheit Demokratie und Markt aushöhlt“ wird die These vertreten, politische Korrektheit führe auf dem Kapitalmarkt zum „freiwilligen Verzicht auf den öffentlichen Diskurs“ und zu demokratisch „nicht legitimierten Machtverschiebungen“. Was hat es damit auf sich?
Die Überlegungen von Zimmermann sind anspruchsvoll, aber zugleich besonders erhellend und originell. Sie zeigen, dass es bei der politischen Korrektheit nicht nur um Sprachpolizei, die Indexierung „verbotener“ Bücher oder die Behinderung von Auftritten geht, sondern auch um so Handfestes wie Kapitalanlagen. Zimmermann zeigt, dass beispielsweise Pensionskassen ihre Anlagen nicht mehr in eigener Verantwortung auswählen, sondern dem öffentlichen Druck von Nicht-Regierungs-Organisationen nachgeben und in deren Sinne „politisch korrekt“ anlegen. Ein Diskurs finde praktisch nicht statt. Die Kapitalmarktakteure gäben klein bei und die Kapitaleigner, also die Versicherten, würden ohnehin nicht gefragt.
„Die Selbstzensur ist ein Problem, ja. Journalisten wollen so wie andere Menschen auch geliebt und akzeptiert werden.“
Führt heute der Zwang zur „politischen Korrektheit“ in den Medien und sozialen Netzwerken zur kollektiven Unterdrückung missliebiger Ansichten und damit zu einer faktischen Beschränkung der Redefreiheit … etwa durch Selbstzensur wie in totalitären Staaten?
Die Selbstzensur ist ein Problem, ja. Journalisten wollen so wie andere Menschen auch geliebt und akzeptiert werden. Wenn sie wissen, dass bestimmte Positionen immer wieder zu ellenlangen Diskussionen in der Redaktion führen oder zu Anfeindungen von außen, dann besteht schon die Gefahr, dass sie solche Themen und Begriffe einfach etwas umgehen. Ich kenne einige Journalistinnen und Journalisten, die deswegen das Handtuch geworfen haben und aus dem Journalismus ausgestiegen sind. Und andere befinden sich ein wenig in der inneren Emigration. In Summe führt das zu größerer Konformität der journalistischen Meinungen.
Der bekannte deutsche Publizist Alexander Grau schreibt in seinem Beitrag, den wir auf unserer Website in leicht gekürzter Fassung wiedergeben, heutige „Political Correctness“ sei ein Programm zur radikalen Umgestaltung der Gesellschaft und „Selbstzerstörung der abendländischen Kultur“. Ist das selbst eine Übertreibung oder wie sehen Sie das?
Wir hätten das Buchprojekt nicht gestartet, wenn wir die übertriebene politische Korrektheit nicht sehr ernst nähmen. Allein wegen der gewissen Spießigkeit und Humorlosigkeit der Political Correctness ließe sich der Aufwand nicht rechtfertigen. Ein Werbeslogan meines früheren Arbeitgebers, der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), lautete: Die Arbeit an der Sprache ist Arbeit am Gedanken. Sprache und Denken sind miteinander verknüpft. Deswegen zielt der Druck zu sprachlicher „Korrektheit“ mitten ins Herz des freien Denkens. Es werden dadurch nicht nur Leserinnen und Zuhörer davor geschützt, dass sie mit Worten konfrontiert werden, die sie verletzen könnten, sondern diese Begriffe werden mit der Zeit auch nicht mehr gedacht. „Wie kannst Du nur so etwas sagen?“ meint daher mit der Zeit „Wie kannst Du nur so etwas denken?“. Das ist eine gefährliche Entwicklung, und weil sie schleichend stattfindet, ist sie doppelt gefährlich.
„Wenn immer versucht wird, den Menschen durch das politische oder gesellschaftliche Kollektiv neu zu formen, ist für die Freiheit Gefahr im Verzug.“
In ihrem Beitrag nennt die frühere NZZ-Journalistin Claudia Wirz Gender „eine Religion“ und geht mir ihr hart ins Gericht. Besteht Gefahr, dass diese neue „Gender-Religion“, die ja ebenfalls politisch korrektes Verhalten erzwingen will, schließlich kontraproduktiv wirken könnte?
Claudia Wirz belegt mit mehreren Beispielen, wie durch gender- und queergerechte Sprachregelungen und soziale und ökonomische Pressionen die Gesellschaft umgebaut und die Bevölkerung moralisch erzogen wird. Ich bin überzeugt, dass man mit solchen Eingriffen in die gewachsene Sprache jenen, die man angeblich vor Verletzungen schützen will, nicht dient. Was mir aber besonders Sorge macht, ist, wie sehr auch Liberale sich von diesem Trend mitreißen lassen, statt Gegenwehr zu leisten. Wenn immer versucht wird, den Menschen durch das politische oder gesellschaftliche Kollektiv neu zu formen, ist für die Freiheit Gefahr im Verzug.
Verglichen mit sozialen Medien und Internet: Wie viel besser steht es hier um die traditionellen Medien, die sich ja – im Wettbewerb um Leser oder Einschaltquoten sowie um politische Relevanz – oft ähnlicher Methoden wie die sozialen Medien bedienen, politische Korrektheit fördern und damit in Modethemen ganze Gesellschaften in Meinungsblasen festhalten oder diese zumindest fördern?
Es ist vielleicht nur die einseitige Sicht eines ehemaligen Journalisten eines traditionellen Mediums, aber mir scheint die Situation in Zeitungen und Zeitschriften, im Radio und Fernsehen, zumindest im deutschsprachigen Raum doch noch etwas besser oder weniger schlecht. Die durch die Anonymität genährten Hassreden gibt es nicht. Die politische Korrektheit greift zwar in den Redaktionen auch immer weiter um sich, aber gleichzeitig wissen doch viele etwas intelligentere Medien um den Sinn der Vielfalt. Also bringt man dort immer wieder auch abweichende Meinungen, nicht weil man sie teilt, sondern im besten Fall aus intellektueller Redlichkeit, häufiger aber vermutlich als Feigenblatt. Die redaktionellen Haltungen dagegen bewegen sich Richtung Mainstream, und Medien, die die politische Korrektheit nicht mitmachen, werden dann als „contrarian“, als ewig-gestrig, als reaktionär und was der negativen Einordnungen mehr sind, diffamiert.
Der Soziologe Alejandro Navas von der Universität Navarra brandmarkt in seinem Beitrag die zunehmende Medienkonzentration, die Nähe der Medien zu den Regierungen sowie Verbandelungen zu und Abhängigkeiten von Staat, Parteien, Wirtschaftsverbänden und Unternehmen. Ist damit die Meinungs- und Redefreiheit in den Medien gefährdet? Ja, ist unabhängiger und qualitativ hochstehender Journalismus heute überhaupt noch möglich?
Die Dinge sind ja selten schwarz-weiß. Man sollte die Vergangenheit nicht verklären. Völlige Unabhängigkeit gibt es nicht, von jemandem ist man fast immer abhängig. Problematisch sind (staatliche) Monopole und die Medienkonzentration. Eine gewisse Verbandelung zwischen Medien, Staat, Parteien, Unternehmen und Verbänden hat es schon immer gegeben. Mir scheint, hochstehender Journalismus sei aber heute noch schwieriger zu realisieren als früher. Die Quersubventionierung des Journalismus durch die Werbung schwindet dahin, der Kampf um die Einschaltquoten führt zu einer Verflachung und einer Annäherung der Inhalte (Einheitsbrei), die Zahlungsbereitschaft für Inhalte ist aufgrund des Internets gesunken und – dies vor allem – die Strukturprobleme der Branche und die schlechte Bezahlung führen dazu, dass der Journalismus für starke, unabhängige Köpfe mit einem klaren Wertegerüst immer unattraktiver wird.
Wie sehen die Herausgeber die Zukunft der Meinungs- und Redefreiheit? Eher pessimistisch? Wenn nein: Wie optimistisch?
Ich habe erwähnt, dass in der Auseinandersetzung zwischen den Unterstützern der Anti-Corona-Maßnahmen und deren Kritikern die Wogen oft ziemlich hochgehen. Die Hassreden werden also kaum verschwinden und deren Regulierung, selbst wenn sie nicht überbordet, schränkt die Meinungsäußerungsfreiheit eher ein. Bei der politischen Korrektheit habe ich doch gewisse Hoffnungen. Zum einen mehren sich Stimmen wie die unsere, die hartnäckig daran erinnern, dass jede freie Gesellschaft in Gefahr gerät, wenn das Recht auf Unvernunft, auf Dummheit, auf Dreistigkeit und Ungehobeltheit ausgehebelt wird. Zum anderen kann man durchaus die Hoffnung haben, dass unter dem Eindruck der Pandemie, des Lockdown, der Begrenzungen der Bewegungs- und Versammlungsfreiheit, der Wohlstandsverluste, der Arbeitslosigkeit, der Konkurse und Überschuldungen sowie der Erfahrung der Brüchigkeit des Lebens eine gewisse Ernsthaftigkeit zurückkehrt, die für die politische Korrektheit nur noch ein zurückhaltendes Verständnis aufbringt und für sprachpolizeiliche Übertreibungen wenig Gehör hat. Wer als Unternehmen mit dem finanziellen Überleben kämpft, wird vielleicht manche Diversity- und Gleichstellungs-Anliegen nicht mehr als besonders dringlich einstufen. Der Staat hat dann möglicherweise auch keine Gelder mehr für Forschungsprogramme, die die Farbpalette des Mobiliars der Kitas untersuchen. Und die Universitäten werden sich, wenn sie den Gürtel enger schnallen müssen, wohl die Frage stellen müssen, ob das Erstellen sprachlicher Leitfäden für den Umgang innerhalb der Universität wirklich zu den vordringlichen Aufgaben einer Institution der Lehre und Forschung gehört. Vielleicht sind das alles nur Hoffnungen, aber die sollte man sich nicht zu früh nehmen lassen.