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01.02.2020

Der Status quo darf nicht die Richtschnur sein – auch nicht bei der Artenvielfalt oder der Durchschnittstemperatur

Wie sieht die Zukunft unserer Kinder aus? Der Wille, eine bessere Welt zu hinterlassen, kann auf falsche Wege führen und ist keine Garantie für Erfolg.

Gerhard Schwarz
NZZ

Am Tag des Erscheinens dieser Kolumne wird unsere älteste Tochter 40 Jahre alt. Man blickt zurück und erinnert sich an die Kindheit der Tochter, vor allem aber blickt man voraus. In welcher Welt wird sie leben, wenn sie so alt ist wie wir und unsere zwei wunderbaren Enkel so alt sind wie heute unsere Tochter? Und in welcher Welt möchten wir, dass sie lebt? Klar ist: Man möchte, dass es den Kindern gleich gut oder besser geht als einem selber, und man wünscht sich das auch für die Gesellschaft als Ganzes. Doch das Ziel hat seine Tücken, wie man nicht nur, aber gerade an der Klimadiskussion sehen kann.

Erstens: Was heisst gleich gut oder besser? Die eigenen Werte und Prioritäten entsprechen nicht immer denen der Kinder. Wie viele Eltern der Wirtschaftswundergeneration sahen es als Ziel an, für ihre Kinder Wohlstand zu schaffen, und wurden von der 68er Generation dafür schnöde verhöhnt.

Zweitens: In den rebellischen Forderungen der Jungen steckt zwar fast immer ein Körnchen Wahrheit, manchmal auch mehr. Es kommt aber selten gut, wenn sich die Älteren gemeinmachen mit der Jugend. Was wäre passiert, wenn sie sich einst den 1968ern, die aus dem Staat Gurkensalat machen wollten, angebiedert hätten? Sosehr es das Vorrecht der Jugend ist, radikal zu sein, so sehr ist es die Verantwortung der Älteren, Pragmatismus und Mässigung hochzuhalten. Das scheinen derzeit viele Politiker und Manager zu vergessen.

Drittens: Der Wille, eine bessere Welt zu hinterlassen, kann auf falsche Wege führen und ist keine Garantie für Erfolg. Churchill und Chamberlain wollten beide das Beste, aber Chamberlains Wille, den Krieg zu vermeiden, hätte zur Unterjochung Europas durch Hitlers Terror geführt. Churchills Strategie kostete Blut, Mühsal, Tränen und Schweiss. Dass sie erfolgreich sein würde, konnte man im Voraus nicht wissen.

Viertens: Eine bessere Welt zu hinterlassen, heisst nicht, die Welt so zu hinterlassen, wie man sie vorgefunden hat. Die beliebte Forderung liegt jenseits jeder Realität – und Vernunft. Von der Steinaxt bis zur Kernenergie haben Menschen die Erde umgestaltet. Kulturschätze, Städte, Tunnels, jede wissenschaftliche Erkenntnis sind Ausdruck des Strebens, die Erde zu gestalten – auch im Interesse der Nachkommen. Dass vieles mit negativen Nebenwirkungen verbunden war, ändert daran nichts.

Der Status quo kann nicht die Richtschnur sein, auch nicht bei der Artenvielfalt oder der Durchschnittstemperatur, obwohl man versucht ist, den Enkeln jenes Klima zu wünschen, das man selbst erlebt hat, knirschenden Schnee im Winter, blühende Obstbäume im Frühling, Geruch von Heu in einem heissen Sommer.

Fünftens: Man wünscht seinen Kindern meist einen Strauss von guten Dingen, privat wie politisch. So gibt es neben dem Klima noch andere Anliegen, darunter viele, bei denen der Einfluss der Schweiz gering ist, wie die Verschonung vor Terroranschlägen, Krieg, grösseren Naturkatastrophen oder der Klimaerwärmung. Viele Probleme könnten wir dagegen viel eher angehen als die globalen Fragen, etwa die Spaltung der Gesellschaft, das Ungleichgewicht zwischen kultureller Offenheit und lokaler Verwurzelung und vor allem die unverantwortliche finanzielle Belastung der nächsten Generationen durch die Altersvorsorge.

Daher bleibt am Schluss die Hoffnung, dass sich die nächste und die übernächste Generation vom ökologischen Messianismus distanzieren und realisieren, dass nicht das Festhalten eines Zustands, sondern der Wandel, und nicht die Verabsolutierung eines einzigen Ziels, sondern die Balance zwischen verschiedenen Anliegen, die Welt menschlich und lebenswert macht.