(NZZ)
Er war einer der bedeutendsten Sozialphilosophen unserer Zeit. Jedoch habe er nicht jene Wertschätzung erfahren, die er verdient hätte, schreibt Gerhard Schwarz zum Tod von Anthony de Jasay.
Ein grosser Freiheitsdenker ist nicht mehr. Anthony de Jasay war einer der bedeutendsten Sozialphilosophen unserer Zeit, aber als Privatgelehrter ohne Einbindung in eine Universität blieb er ein Geheimtipp und erfuhr nicht jene Wertschätzung, die er verdiente.
Sein Lebenslauf ist ungewöhnlich: 1925 in eine ungarische Landadelsfamilie hineingeboren, floh er 1948 nach Österreich und emigrierte zwei Jahre später nach Perth in Australien. Dort studierte er Ökonomie und kam mit einem Stipendium nach Oxford, wo er bis 1962 lehrte und Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften publizierte. Dann zog er nach Paris und versuchte sein Glück im Finanzsektor, auf fremde und dann auf eigene Rechnung. Das erlaubte es ihm, sich 1981 in die Normandie zurückzuziehen und sich, obwohl der grösste Teil des Vermögens später verloren ging, seinen Studien zu widmen. In den letzten zehn Jahren kam es zu einer fast vollständigen Erblindung. Trotzdem arbeitete er weiter und hielt gelegentlich Vorträge von grosser Klarheit.
Klarheit der Gedanken und der Sprache war sein Markenzeichen. Er stellte sich, immer wieder auch in der NZZ, mit Logik, Spieltheorie und sauberer Dekonstruktion der Begriffe gegen den sozialdemokratischen Mainstream, fragte, warum Gleichheit besser sein solle als Ungleichheit, zeigte, dass der Staat weder allwissend ist noch notwendig zur Verteidigung des «öffentlichen Interesses», und entwarf eine soziale Ordnung, die auf Privateigentum, freiwilligen Verträgen und individueller Verantwortung basiert. Dennoch war de Jasay kein Anarcho-Kapitalist, sondern, wie er in einem seiner wenigen auf Deutsch erschienenen Bücher, «Liberalismus neu gefasst» (1995), darlegt, Vertreter eines «strikten Liberalismus». In allen Büchern, darunter «The State» (1985), «Social Contract, Free Ride» (1989) oder «Against Politics» (1997), ging es ihm darum, Grenzen des Staates zu umreissen, auf die wir hinarbeiten sollten, auch wenn wir sie nie erreichen. Letzte Woche ist Anthony de Jasay in der Normandie nach schwerer Krankheit gestorben.