Der Psychologe und Pädagoge Allan Guggenbühl widmet sich in unserem neusten Buch „Total Data – Total Control“ der Null-Toleranz-Haltung im Bildungsbereich. Ursprünglich zur Ordnungsstiftung in verwahrlosten Räumen konzipiert, wurde die Null-Toleranz-Strategie vor allem in den USA zunehmend eingesetzt, um delinquente (vorwiegend junge) Menschen kompromisslos für ihr Fehlverhalten zu sanktionieren.
Diese Strategie der Null-Toleranz hat auch in unseren Schulen Eingang gefunden, erklärt Guggenbühl. In den letzten Jahrzehnten habe eine Verschiebung der Macht hin zum pädagogischen Überbau stattgefunden: Die Deutungshoheit darüber, was guter Unterricht sei, sei an die Erziehungswissenschaften und an pädagogische Hochschulen übergegangen und werde in PISA-Studien oder wissenschaftlichen Untersuchungen definiert. Dadurch erfolge eine zunehmend praxisferne Setzung von Normen im Bildungsbereich, die nicht nur die Unterrichtsgestaltung, sondern auch das Verhalten der Jugendlichen betreffen: Aufmerksamkeitsstörungen würden definiert, kognitive Defizite abgeklärt, vermeintliche Entwicklungsstörungen aufgedeckt.
Doch die psychologische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen erfordere geradezu eine Abgrenzung gegenüber den Erwachsenen, eine Trotzhaltung und das Ausloten von Grenzen. Darauf mit einer Null-Toleranz-Strategie zu antworten, nehme die Persönlichkeit eines jeden Kindes nicht ernst, denn diese festige sich gerade durch das Übertreten von Grenzen. Natürlich dürfe man Gewalt nicht akzeptieren und müsse konsequent einschreiten. Doch mit Null-Toleranz und harten Sanktionen erreiche man keinen erzieherisch wertvollen Effekt.
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