Close
  • En
    En
In den Medien
icon
11.04.2018

„Kurtaxe“ für deutsche Einwanderer in die Schweiz

Ist die Personenfreizügigkeit eine gute Sache? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer Debatte der Zürcher Progress Foundation.

Bernd Kramer
Badische Zeitung

„Wie halten wir es mit der Zuwanderung?“ Für Gerhard Schwarz, Präsident der Schweizer Progress Foundation (Stiftung) ist diese Frage die Schicksalsfrage der westlichen Industriestaaten. Immerhin habe der Streit um die Personenfreizügigkeit die gewaltigen politischen Umwälzungen in der westlichen Hemisphäre befeuert. Wobei Schwarz unter Personenfreizügigkeit das Recht auf einen dauerhaften Aufenthalt in einem anderen Land meint – so wie es die Schweiz EU-Bürgern im Rahmen der bilateralen Verträge zugestanden hat. Die zeitweise Aufnahme von Flüchtlingen aus humanitären Gründen falle nicht unter den Begriff, sagt der langjährige Chef der Wirtschaftsredaktion der Neuen Zürcher Zeitung.

Um Antworten auf die eingangs gestellte Frage zu finden, hatte die Progress Foundation Madeleine Sumption zur Economic Conference (Wirtschaftskonferenz) der Stiftung eingeladen. Sumption leitet an der Universität Oxford das Migration Observatory. Die Organisation hat sich zum Ziel gesetzt, möglichst objektive Informationen zum Thema Migration – also Zu- und Abwanderung – zu liefern. Sumption wird viel zitiert – in der BBC oder der New York Times. Die Wissenschaftlerin machte klar, dass Migrationspolitik zu den schwierigsten Politikfeldern gehört und einfache Lösungen ausgeschlossen sind: „Es wimmelt hier von Zielkonflikten.“ Ein Beispiel: Einerseits würde man sich in Großbritannien darüber beklagen, dass so viele billige, osteuropäische Pflegekräfte im Land sind. Andererseits sei aber kaum jemand bereit, höhere Steuern zu bezahlen, um einen Ausbau der Pflegeeinrichtungen mit einheimischen Fachkräften zu finanzieren.

Programme, bei denen ausländische Investoren für eine langfristige Aufenthaltsgenehmigung versprechen, Geld im Einwanderungsland anzulegen, liefen meist ins Leere. Die Investitionen würden in der Regel nichts für die Wirtschaft des Aufnahmestaates bringen. Am effektivsten sei noch der Weg des EU-Zwergstaats Malta: Der verlange 650 000 Euro cash – diese Vorgehensweise sei jedoch aus moralischen Gründen umstritten.

Weil sich die Zuwanderungsgewinner – also zum Beispiel Arbeitgeber, die aus einem größeren Arbeitskräftepotenzial schöpfen können – im öffentlichen Diskurs weniger artikulieren als Zuwanderungsverlierer (Arbeitnehmer, die unter Lohndruck stehen), griffen die Parteien zur Anti-Zuwanderungssymbolpolitik. Dafür sei die Debatte vor dem Brexit ein gutes Beispiel, sagte Sumption. Konservative hätten die hohe Zuwanderung als Folge zu hoher Sozialleistungen für die Migranten dargestellt, was jedoch nicht nachzuweisen sei. Für die Wissenschaftlerin ist die Pro-Brexit-Entscheidung ein Ergebnis einer ablehnenden Haltung gegenüber der Zuwanderung.

Reiner Eichenberger, Ökonomieprofessor aus Fribourg und zweiter Redner bei der Economic Conference, machte aus seiner Abneigung der Personenfreizügigkeit im EU-Schweiz-Verhältnis keinen Hehl.

Schweizer Grundbesitzer sind die Gewinner

Entgegen der Aussage von Studien des eidgenössischen Bundes habe der Zuzug etlicher EU-Bürger die Schweiz nicht wirklich vorangebracht. Vielmehr habe die Zuwanderung einen Verlust von Lebensqualität mit sich gebracht. Die hohe Lebensqualität zwischen Genf und Basel sei der eigentliche Grund, weshalb es viele Ausländer in die Schweiz ziehe. Für das Land sprächen unter anderem die verlässlichen politischen Institutionen, ein exzellentes Gesundheitssystem und eine gute Infrastruktur. Aus seiner Sicht unterschätzten aber viele Ökonomen in ihren Modellrechnungen die aus seiner Sicht unangenehmen Begleiterscheinungen der Personenfreizügigkeit auf die Lebensqualität. Über die Bevölkerungszunahme – hier liege die Schweiz in der europäischen Liga weit vorne – führe der Zuzug angesichts knapper Flächen zu höheren Grundstückspreisen und einem Gefühl der Enge. Auch die Infrastruktur, also Straßen, Kläranlagen, Hospitäler oder Schulen würden stärker in Anspruch genommen, was höhere Anforderungen an den Staat stelle. „Von der Zuwanderung profitieren vor allem die Grundbesitzer“, meint Eichenberger. Die Verlierer, Mieter oder angehende Häuslebauer, könnten jedoch nicht vom Staat kompensiert werden. Eine Bevorzugung der alteingesessenen Schweizer gegenüber den Zuzüglern aus der EU sei aufgrund der bilateralen Verträge nicht erlaubt.

Eichenberger plädiert für eine „Kurtaxe“, die EU-Bürger, welche längerfristig in der Schweiz bleiben wollen, bezahlen sollen. In der Berner Zeitung bezifferte er sie auf zwölf bis 15 Franken pro Tag oder 4000 bis 5000 Franken pro Jahr – als Aufschlag auf die Einkommen- oder Quellensteuer (in diesem Fall Steuer auf Kapitalerträge). Das Geld soll der Fiskus erhalten, um Investitionen in die Infrastruktur oder in den Umweltschutz zu finanzieren.

Quelle: https://www.badische-zeitung.de/meinung/kommentare/kurtaxe-fuer-deutsche-einwanderer-in-die-schweiz