mbe. Das Thema Demographie ist in den vergangenen Jahren zu einem populären Gegenstand öffentlicher Debatten geworden. Stichworte wie «Überalterung» oder «demographische Zeitbombe» haben breiten Bevölkerungskreisen deutlich gemacht, dass der Wandel der Bevölkerungsstruktur die westlichen Gesellschaften vor beträchtliche Herausforderungen stellen wird. Das grosse Interesse am Thema zeigte sich auch an der 23. Economic Conference der Progress Foundation, die sich am Donnerstagabend dem Thema «Demographie, Wachstum und Wohlstand» widmete und rege besucht war. Im Zentrum standen nicht nur die Gründe und Auswirkungen des Bevölkerungswandels in Europa und mögliche Lösungsansätze, sondern auch eine globaler ausgerichtete Sicht auf das Phänomen.
Herausforderung von China bis Europa
Die Diskussion über Demographie ist – zumindest in der Schweiz – oft durch eine Nabelschau geprägt. Es wirkte daher äusserst erfrischend, dass Nicholas Eberstadt vom American Enterprise Institute in Washington DC einmal den Blick auf Länder lenkte, in denen man demographische Probleme nicht unbedingt vermuten würde. Wer hätte etwa gedacht, dass China vor ähnlichen, wenn nicht gar noch grösseren Herausforderungen steht als wir? Der Anteil der über 60-Jährigen wird im Reich der Mitte bis 2025 drastisch zunehmen. Hinzu kommt, dass diese Bevölkerungsschichten arm und schlecht ausgebildet sind. Sie können wegen der Ein-Kind-Politik auch immer weniger auf das traditionelle Alterssicherungssystem «Familie» zurückgreifen. Laut Eberstadt bahnt sich hier ein «humanitäres Desaster in Zeitlupentempo» an. Das chinesische Sozialversicherungssystem sieht sich bereits heute horrenden ungedeckten Rentenverpflichtungen von 125% bis 150% des Bruttoinlandprodukts gegenüber, obwohl es kaum einen Fünftel der Bevölkerung abdeckt.
Interessante Aspekte zeigte Eberstadt auch hinsichtlich Russlands, Indiens und der USA auf. Russland ist insofern ein Sonderfall, als dort die Lebenserwartung in den letzten 15 Jahren nicht gestiegen, sondern markant gefallen ist. Besonders russische Männer leben immer weniger lang – sie können heute bei Geburt mit einem Alter von 59 Jahren rechnen. Indien hingegen wird, vor allem im Süden, einen ähnlichen Alterungsprozess durchlaufen wie westliche Gesellschaften. Die USA schliesslich werden weniger überaltern als Westeuropa, hauptsächlich weil die Frauen mehr Kinder gebären.
Unbequeme Antworten
Rainer Münz, Leiter der Forschungsabteilung der Ersten Bank in Wien, zeichnete zunächst die Prognosen für Europa und die Schweiz nach. Die gute Nachricht sei, dass die Lebenserwartung markant steige, die schlechte, dass die Zahl der Geburten falle. Die resultierende Überalterung habe weitreichende Folgen: Die Probleme für die Rentensysteme seien wohlbekannt, diejenigen einer sinkenden Erwerbsquote eher weniger. Münz betonte, dass die Lösungsansätze auf der Hand lägen, aber unpopulär seien. Als einzige wirksame Gegenstrategie bezeichnete er eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Münz zeigte, wie Eberstadt auch, dass die Probleme der Rentensysteme vor allem auf das heutige niedrige Rentenalter zurückzuführen seien. Das Pensionierungsalter müsse deshalb flexibilisiert werden, aber es müssten auch Anreize geschaffen werden, damit es sich lohne, länger zu arbeiten.
Andere Ansatzpunkte sah Münz als nicht sehr vielversprechend an. Eine verstärkte Zuwanderung schöbe aus seiner Sicht das Problem der Überalterung nur hinaus, denn auch Immigranten würden älter. Auch die anderen Antworten auf die demographische Herausforderung, die Münz präsentierte, waren letztlich unbequem: Frauen könnten sich verstärkt im Erwerbsleben engagieren, es könnte auf Wohlstand verzichtet werden, oder der Lebensabend könnte gesichert werden, indem im aktiven Erwerbsleben auf Konsum verzichtet und mehr für das Alter gespart würde.