Kaum jemand bekennt sich zu ihm, und kaum jemand ist gefeit vor ihm: Der Neid gilt als wenig edler und dennoch allgegenwärtiger Charakterzug. Meist verbirgt er sich hinter vermeintlich ehrenwerter Fassade, wird also erst nach Abklopfen derselben erkennbar. Verstecken müsste er sich indes nicht. Denn Neid, und somit das Leid am Wohlergehen des Mitmenschen, ist ein realer und seit Urzeiten bei allen Völkern beobachtbarer Schmerz. Als solcher verdient er seriöse Berücksichtigung – auch seitens der Sozialwissenschaften. Diesem Anliegen angenommen haben sich am Donnerstag abend in Zürich der Bonner Soziologe Erich Weede und der in Zürich lehrende Ökonom Ernst Fehr. Auf Einladung der Progress Foundation und des Liberalen Institutes machten sie sich Gedanken zu den wirtschaftlichen Konsequenzen des Neids.
Konsens bei der Diagnose . . .
Einig waren sich die beiden in der Einschätzung, dass Neid kaum auszurotten sei. Weede untermauerte dies mit dem Hinweis auf den durchaus rationalen Kern des Neidgefühls auf Grund sogenannter Positionsgüter. Solche Güter kennzeichnen sich durch eine extrem hohe Rivalität des Konsums. Das heisst: Wer ein Positionsgut in Anspruch nimmt, mindert notwendigerweise die Chancen der anderen, das gleiche Gut zu geniessen. Beispiele hierzu liefern hohe soziale Positionen, zumal nicht jedermann Bundesrat oder Konzernchef werden kann. Da die Inanspruchnahme solch gehobener Positionen voraussetzt, dass andere in unteren Positionen verbleiben, ist Neid eine naheliegende emotionale Reaktion. Und da mit zunehmendem Wohlstand einer Gesellschaft der Kampf um die Formen dieses Wohlstandes – will heissen: der Kampf um Positionsgüter – immer wichtiger wird, ist Neid in Weedes Worten nicht allein ein Ärgernis, sondern zusätzlich ein «Ärgernis mit Zukunft».
An die Zukunft des Neids, verstanden als Aversion gegen Ungleichheit, glaubt auch Fehr. Argumente hierzu entlehnt er sich nicht zuletzt der experimentellen Ökonomie, seinem wissenschaftlichen Steckenpferd. Die im Rahmen ökonomischer Experimente gezeigte Tendenz neidischen Verhaltens sah er im Rahmen eines kleinen Verteilungsspiels um 100 Fr. beim Vortragspublikum ebenfalls bestätigt. Aber auch die vielen Nein- Stimmen älterer Frauen bei der jüngsten Abstimmung über eine Mutterschaftsversicherung in der Schweiz wertet er als Indiz für die evolutorische Hartnäckigkeit des Neid-Phänomens.
. . . und Dissens bei der Therapie
Mit der Betonung der Persistenz des Neides hatte sich der Konsens der beiden Referenten indes bereits erschöpft. Namentlich bei der Frage nach der Funktionsfähigkeit des Marktes in einer «neidischen Wirtschaft» kamen sie zu höchst unterschiedlichen Antworten. Für Weede hat Neid in einer auf Freiwilligkeit basierenden Welt des Marktes keine sozial schädlichen Konsequenzen. Wer andere Menschen um Geld, Güter oder Positionen beneide, könne ja den Versuch starten, auf dem Markt wohlhabender zu werden. Und da auf einem Wettbewerbsmarkt auf Dauer derjenige am erfolgreichsten sei, der sich am Wohl seiner Mitmenschen – lies: der Abnehmer seiner Produkte und Leistungen – orientiere, werde der Neider dazu gezwungen, sich so zu verhalten, als ob er ein besserer Mensch wäre. Der Neider mutiere quasi kraft des Marktgesetzes zum Altruisten. Anders sei dies jedoch bei Berücksichtigung der politischen Welt und somit der potentiellen Androhung von Gewalt und Zwang. Unter demokratischer Mehrheitsherrschaft müsse die Lücke zur Minderheit der Beneideten nicht mehr durch eigene Anstrengung geschlossen werden, sondern könne – als destruktive Option – über die zwangsweise Enteignung des Erfolgreichen erfolgen. Nichts zwinge also in einer demokratischen Mehrheitsherrschaft die Neider, sich moralisch besser zu verhalten, als sie sind.
Nicht einverstanden erklären mit solchem Vertrauen auf die Marktkräfte konnte sich Fehr. In seiner Optik können dezentrale – und somit marktwirtschaftliche – Entscheidungsstrukturen beim Vorhandensein von Neid und Statuspräferenzen zu ineffizienten Resultaten führen. «Neid ist nicht unschuldig in Märkten.» Die Ursache sieht er in Nutzenexternalitäten begründet: der Statusgewinn einer Person A entspreche immer dem Statusverlust einer Person B. Wenn sich beispielsweise A gegenüber seinem Nachbarn B abheben wolle und deshalb ein prestigeträchtiges Luxusauto kaufe, Nachbar B indes dasselbe überlege, hätten am Schluss zwar beide Personen ein dünneres Portemonnaie, der angestrebte Statuserfolg habe sich aber bei keinem eingestellt. Zur Vermeidung solcher wohlfahrtsmindernder Situationen stösst der Markt gemäss Fehr an Grenzen. Notwendig seien daher intelligente – vom Referenten leider nicht näher konkretisierte – Institutionen.